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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sie nicht.«
    Dann spielten sie Verstecken zwischen den verwitterten Grabsteinen, mächtigen Eichen und den zerfallenen Grüften. Sie machten ein Picknick neben dem überdachten Brunnen, aus dem man, wie vor hundert Jahren schon, das Wasser mit einem Eimer nach oben ziehen musste und aus dessen Tiefe es nach modriger Schattennacht roch. Sie wanderten an den Klippen entlang, und Livia lernte Danny kennen, und Danny lernte Livia kennen. Livia erzählte die Geschichte eines Mannes, der sich in ein hübsches Gespenst verliebt und versucht, es zu heiraten, und Colin und Danny hörten nur zu und waren froh, dass nichts von dem, was in der Geschichte passierte, Wirklichkeit wurde (wenngleich, das solle man anmerken, es nicht schlimm gewesen wäre, wenn gerade diese Geschichte zum Leben erwacht wäre).
    Am Schluss erlernte Danny den Oliven-Trick, und keiner der drei dachte an Helen Darcy und das, was passiert war.
    Jetzt, im Rover, auf dem Weg nach Ravenscraig, fragte Colin: »Hast du sie noch einmal gesehen?«
    »Deine Mutter?«
    Er nickte.
    »Nur aus der Ferne. Man kann sich aus dem Weg gehen, wenn man will.« Sie betrachtete die grünen Hügel, die draußen im Nieselregenschleier an ihnen vorbeizogen. »Vermutlich habe ich sie während der letzten Jahre öfter gesehen als du.«
    »Könnte sein«, grummelte Colin und konzentrierte sich auf die Straße, die holprig wurde.
    »Ich habe sie gehasst«, gab Livia zu.
    »Das kenne ich.«
    Helen Darcy hatte das Band zwischen Livia und ihm in einem einzigen Augenblick, mit einer einzigen Geschichte, zerschnitten. Als Ravenscraig wie ein drohender Schatten am Horizont erschien, da fragte sich Colin, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie es nicht getan hätte. Wenn Livia und er zusammengeblieben und glücklich gewesen wären.
    »Alles okay?«
    Er schaute zur Seite. Livia betrachtete ihn besorgt.
    »Ja, ich denke, schon.«
    »Du bist kreidebleich geworden.«
    »Da ist Ravenscraig«, sagte er nur.
    Mehr brauchte man nicht zu sagen.
    Die schattenhafte Silhouette des Hauses war wie eine finstere Gestalt in der grünen Landschaft, ein uraltes Wesen, dessen Haupt den grauen Himmel berührte. Mehr noch als früher erinnerte es Colin an etwas, was man in den schwarzweißen Filmen Alfred Hitchcocks oder den düsteren Büchern einer Daphnc du Maurier findet. Das Haus versteckte sich nicht schüchtern in den Hügeln, wie andere Häuser es tun. Hoch aufgerichtet stand Ravenscraig da und zeigte der Welt, dass es da war. Nichts, aber auch gar nichts hatte sich verändert, seitdem Colin das letzte Mal hier gewesen war. Noch immer führte der wie vor Schmerzen gekrümmte Weg durch das große eiserne Tor mit den geschmiedeten Gesichtern, noch immer flankierten die mächtigen Eichen und vom Wind misshandelten Ulmen die Einfährt, noch immer rankte sich wild wuchernder Efeu an den Wänden empor, und noch immer spähten die Schatten aus den vielen Fenstern.
    »Ich habe mich oft gefragt, wie es sein muss, dort zu leben. Allein mit Miss Robinson und Mr. Munro.«
    Livia antwortete ihm nicht.
    Stattdessen wurde sie eines bunten Vogels gewahr, der auf einer der Eichen saß und den Rover beobachtete. »Kann es sein, dass hier exotische Vögel leben?« Sie wusste, dass ihre Frage ziemlich bescheuert klang, aber sie hatte noch nie zuvor einen Vogel wie diesen gesehen. Er war bunter als ein Papagei, und er trug ein gelbes Stoffband im Schnabel.
    »Hier kann alles sein«, sagte Colin nur. Er spürte, dass seine Hände das Lenkrad wie im Krampf festhielten. McGuffin hatte die seltsamen exotischen Federn erwähnt, und hier saß schon wieder ein Vogel, der aussah, als gehöre er nicht nach Schottland. Konnte es sein, dass es einen Zusammenhang gab zwischen Ravenscraig und Arthur Sedgwicks Unfall?
    Colin teilte Livia seine Überlegungen mit.
    »Du siehst Gespenster«, antwortete sie, »ehrlich.«
    »Ja, vermutlich hast du recht.« Hier eine Verbindung zu suchen war in der Tat ein wenig übertrieben.
    Blieb also nur Ravenscraig.
    Colin fuhr langsamer, je näher sie dem Haus kamen.
    Die Schultern taten ihm bereits weh.
    Es stand außer Frage, dass ihm Ravenscraig noch immer nicht gut tat. Erneut wunderte er sich, dass Danny hierher zurückgekehrt war und, darüber hinaus, in seinem alten Zimmer übernachtet hatte.
    Welches Geheimnis schlummerte dort drüben?
    Further on up the road.
    Warum war er hier?
    Der Rover näherte sich dem Haus, und Colin parkte auf dem riesigen Kiesplatz davor.
    Ehe er ausstieg, atmete

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