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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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die Korridore fließt und einen erschaudern lässt, wenn irgendwo eine Standuhr dröhnend die volle Stunde schlägt. Es ist eine Kälte, in der die Stimmen und Gedanken der ehemaligen Bewohner leben, ja, dort sind sie daheim.
    Ravenscraig war solch ein Haus.
    Colin Darcy war hier aufgewachsen.
    Er wusste das.
    Und nun, da er wieder hier war, fühlte er sich ganz und gar nicht gut.
    Jeden Winkel kannte er, jede Kerbe im Stein. Hier hatte er den Großteil seines Lebens verbracht, dies war einmal sein Zuhause gewesen.
    Hier gab es unzählige Zimmer, und jeder Raum konnte, wenn man es genau nahm, eine besondere Geschichte sein Eigen nennen.
    »Warum willst du mich begleiten?«, hatte Colin gefragt, als Livia und er sich das enge Bett in der Pension geteilt hatten.
    »Ich will bei dir sein«, war ihre Antwort gewesen.
    Das war alles.
    Vorher, unter dem unsichtbaren Mistelzweig ihrer gemeinsamen und fast schon in Vergessenheit geratenen Vergangenheit, hatte sie in der für sie typischen und recht direkten Art gesagt: »Ich möchte heute Nacht mit dir schlafen.« Und sich augenblicklich verbessert: »Ich meine das nicht so, wie es sich anhört. Ich meine natürlich nur schlafen.«
    Er wusste, wie sie es meinte. Und es tat gut, dass sie es so meinte, wie sie es tat.
    Colin Darcy war am Morgen erwacht und hatte ihren Körper an seiner Seite gespürt, seine Hand hatte ruhig auf ihrem Bauch gelegen, und dort hatte er den Atem gespürt, und dann hatte er sich einfach nur gut gefühlt, und er glaubte, dass ihn dieses Gefühl über den Tag retten konnte.
    Darüber hinaus hatte er feststellen müssen, dass er sich schon seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt hatte wie an diesem Morgen. Etwas war jetzt anders, etwas war zu ihm zurückgekommen, etwas war jetzt richtig, ja, etwas war jetzt endlich richtig in seinem Leben!
    »Du bist ja noch da«, sagte er und küsste sie auf die Stirn, als sie die Augen aufschlug, diese wunderbaren Augen, die Livia waren, noch immer, so sehr, dass es ihm fast die Luft nahm.
    »Hast du gedacht, ich hätte es mir heute anders überlegt?«
    Das Leben, dachte Colin, kann verrückt und verdreht sein.
    »Ja, vielleicht hab ich das gedacht.«
    Jetzt küsste sie ihn, auf den Mund. »Du bist noch immer der Colin, Colin Darcy aus Ravenscraig, der nicht richtig erwachsen werden will, der, dem ich damals den Oliventrick gezeigt habe. Und bevor du zu lange darüber nachdenkst: Das war ein Kompliment.«
    »Danke.«
    Als sie aufstand, blieb er noch liegen, und als sie aus dem Bad kam, sah er ihr beim Anziehen zu.
    »Du bist neugierig«, stellte sie fest.
    »Manchmal.«
    Sie zog sich an und dann setzte sie sich auf den einzigen Stuhl im Raum.
    »Jetzt du«, forderte sie ihn auf.
    Colin zog sich an.
    Und Livia grinste.
    »Warum grinst du?«, fragte er, ein wenig verunsichert.
    »Nur so.«
    »Nur so?«
    Sie grinste noch breiter und sagte: »Nur so!«
    Dann, nach dem Frühstück, waren sie losgefahren, beide schweigsam, während im Radio Further on (up the road) lief. Das Akkordeon, die Geige und all die anderen Instrumente füllten den Rover bis zum Dach mit alten, uralten Erinnerungen. Eine helle, klare Frauenstimme, die nach der Flöte im Intro einsetzte, unterstützte die raue Stimme des Leadsängers.
    »Das ist Danny«, sagte Colin.
    Livia wirkte erstaunt. »Der Kleine singt?«
    »Sie nennen sich Dylan 's Dogs.« Dann erzählte er, was ihm von seinem Bruder geblieben war. »Die Frauenstimme ist Soozie Sutcliffe.« Er erwähnte Dannys Heirat. »Keiner von uns hat etwas davon gewusst.« Livia erfuhr von der CD im Virgin Megastore, von Dannys Besuch in Ravenscraig, der dem Anruf gefolgt war.
    »Was geht hier vor?« Eigentlich hatte Colin nur laut gedacht.
    Livia legte eine Hand auf sein Bein und schaute nach vorn.
    »Gibt es Neuigkeiten aus London?«
    Nach dem Frühstück hatte Colin kurz mit Christoph Kneer telefoniert.
    »Der Polizist ist noch mal da gewesen«, hatte der junge Deutsche, der immer mehr wie ein unrasierter Ewan McGregor aussah, ihm mitgeteilt.
    »McGuffin?«
    »Ja.«
    »Hat er neue Fragen gestellt?«
    »Er war mit einem Kollegen da, einem jungen Typen, der irgendwie dumm aussah. Wie auch immer, die beiden haben sich alle Computer in den Büros vorgenommen.«
    »Das heißt?«
    »Dr. Sedgwick hat wohl eine Mail erhalten, vorgestern Abend, kurz bevor er losgefahren ist. Sie kennen das Gerede hier im Haus, man munkelt, dass er aufgrund dieser Mail nach Southwark gefahren ist. Und die Mail, heißt es

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