Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
weiter, sei hier aus dem Haus losgeschickt worden.«
    »Von einem unserer Rechner?« »Ja.«
    »Haben Sie eine Ahnung, von welchem?«
    »Nein. Aber sie haben alle Rechner kontrolliert, Ihren auch.«
    »Da bin ich ja beruhigt.«
    »Ach ja, und Randall hat nach Ihnen gefragt.«
    »Mist.«
    »Haben Sie ihn verärgert?« »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Er ist nicht gut auf Sie zu sprechen, Dr. Darcy. Keine Ahnung, was los ist. Der Inspektor ist jedenfalls auch bei Randall gewesen. Mehr weiß ich nicht.«
    »Gibt es was Neues in der SigmaCom-Sache?«
    »Das Übliche.«
    »Und was ist das Übliche?«
    »Haben Sie keine Zeitung oben in Schottland?«
    »Bin noch nicht dazu gekommen.«
    »In Kurzform? Die Sigma-Jungs haben schon gestern Abend eine Pressekonferenz gegeben.«
    »Das heißt, die Sache ist in den Medien.«
    »Sie sagen es.«
    »Mist!«
    »Sie sagen es.«
    Es entstand eine Pause.
    »Möchten Sie Randall sprechen?«
    Colin war aus der Pension in die frische Luft getreten, hatte den Hafen vor sich gesehen und die Möwen kreischen hören. »Nein«, hatte er gesagt, »ich melde mich später wieder.« SigmaCom wurde vom Wind hinfortgeweht.
    Denn er war hier, in Portpatrick, mit Livia an seiner Seite.
    Sie waren in den Wagen gestiegen und losgefahren, und London war weiter weg als je zuvor. »Das klingt alles sehr beunruhigend«, meinte Livia, nachdem er ihr von dem Telefonat erzählt hatte. »Es ist beunruhigend«, stellte er fest.
    Schweigsam fuhren sie weiter. Die A77 hatten sie schon seit einigen Minuten verlassen. Der Rover folgte jetzt einer Straße, die mehr ein Weg war und sich schlangenhaft durch die grünen Hügel der Rhinns wand. Irgendwo dort vorn, wusste Colin, war das Meer.
    Und irgendwo vor dem Meer war Ravenscraig.
    Wie passend es doch war, dass dieses Lied gerade jetzt im Radio lief.
    Further an up the road.
    Ja, Livia hatte Danny gekannt.
    Einmal nur waren die beiden einander begegnet, damals, als Colin seinen kleinen Bruder zum Galloway Graveyard mitgenommen hatte. Livia hatte dort auf sie gewartet.
    Zwei Tage zuvor war Colin Darcy für wenige Minuten ein Spinnentier gewesen und hatte seinen Bruder aus dem tiefsten Dschungel und der trockensten Wüste gerettet. Danny war fast acht Jahre alt gewesen, und keiner der Jungs wusste so recht, wie sie das, was ihre Mutter manchmal mit ihnen machte, einzuordnen hatten. Die meisten Bestrafungen, die Helen Darcy sich für sie ausdachte, waren wirklich sehr speziell. Immer erzählte sie ihnen eine Geschichte, und das, was sie erzählte, wurde auf eine Art und Weise greifbar, die man anderen Menschen einfach nicht erklären konnte.
    »Das, was sie sagt, passiert auch.« So brachte es Danny auf den Punkt. Damals spielte er noch nicht Gitarre.
    »Du bist also Danny«, begrüßte ihn Livia, die wieder auf ihrem Baum gesessen hatte bei ihrer Ankunft. Sie zeigte Danny den Trick mit den Oliven, und mittlerweile gelang er ihr. »Tst das nicht komisch«, pflegte sie zu sagen, »immer sind mir die Oliven davongeflogen, doch seit ich dich kenne, Colin, landen sie mir im Mund.«
    »Schicksal«, antwortete Colin.
    Die beiden küssten sich unter einer der Eichen.
    »Ihr habt euch geküsst«, stellte Danny fest und verzog das Gesicht ein wenig.
    »Das tut man, wenn man sich gern hat«, erklärte ihm sein Bruder.
    »Mama küsst Papa anders«, stellte Danny fest. Dann überdachte er, was er gesagt hatte, und stellte richtig: »Naja, eigentlich küssen Mama und Papa sich gar nicht.«
    »Du darfst nichts verraten, Danny, das musst du uns versprechen.« Colin stand vor Danny, der auf einem Grabstein saß und die Füße baumeln ließ. »Mama fände das alles gar nicht gut, glaube ich.«
    Danny nickte still, und dann sagte er etwas, was Livia später, nachdem Helen Darcy sie besucht hatte und sie schon im Zug nach Edinburgh saß, wieder einfiel und was sie niemals mehr vergessen sollte: »Mama ist böse.«
    Es war eine Feststellung, so kühl und so sachlich und so schrecklich, weil Danny es nicht sagte, wie ein Kind Dinge sagt. Danny sagte es wie jemand, der bereits in jungen Jahren erkannt hat, wie das Leben sein kann, wenn es nicht nett zu einem ist. Er sagte es wie etwas, was sich nie und nimmer mehr ändern lässt und einen begleiten wird bis ans Lebensende.
    »Keine Mama ist böse«, hatte Livia damals entgegnet.
    Und Danny hatte sie angesehen, mit diesen traurigen, ernsten Augen, die sie an Colin Darcys Augen erinnerten, und ihr mit ruhiger Stimme geantwortet: »Du kennst

Weitere Kostenlose Bücher