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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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er tief durch.
    Solange die Tür des Wagens noch geschlossen war, fühlte er sich sicher und geborgen, irgendwie. So, als könne er noch umkehren. Umkehren ... ja, das wäre nicht die schlechteste Alternative. Er würde den Gang einlegen, zurücksetzen, die lange gewundene Einfahrt zurückfahren, das eiserne Tor hinter sich lassen. In Portpatrick würde er ein Leben mit Livia Lassandri leben und nie mehr, nie, nie, nie an Helen Darcy und Ravenscraig und alles andere denken. Kein London-Leben mehr, sondern ein neuer Anfang. Ganz leicht wurde ihm ums Herz, als er dieser Möglichkeit folgte.
    Dann stieg er aus.
    Something wicked this way comes.
    Die Zeilen stammten nicht aus einem Lied. Nur Danny und Colin hatten das immer geglaubt.
    Miss Robinson hatte sie aufgeklärt, dass sie von Shakespeare stammten.
    Macbeth und die bösen Hexen.
    Further on up.
    Er spürte den feinen Kies unter seinen Schuhen, hörte das Knirschen, das schon früher ein Vorbote des Hauses gewesen war. Auf die Stufen, die zum Eingang hinaufführten, ging er langsam, fast schon abwartend, zu. Es war, als sei er in einem Traum gefangen, als könne er jeden Augenblick mit einem rauen Schrecken in der Kehle erwachen und feststellen, dass die Sonne noch immer nicht über Hampstead Heath aufgegangen war. Er würde sich umdrehen und weiterschlafen, und alles wäre gut, gut, gut.
    Außer dem Rover standen zwei weitere Autos vor dem Haus, und Colin beschlich schon die Angst, seine Mutter könnte zurückgekehrt sein.
    Was, wenn dies alles nur ein Trick gewesen war, um ihn nach Ravenscraig zu locken?
    Warum, in aller Welt, war ihm dieser Gedanke nicht schon vorher gekommen?
    Er blickte mit einem leichten Unbehagen auf die beiden Autos, von denen, das immerhin wusste er, keines der Wagen seiner Mutter war. Helen Darcy fuhr einen Mercedes, sie mochte den Namen.
    »Ich wollte doch immer nur ein Mädchen haben«, war sie nicht müde geworden jedem zu erzählen, der es nicht hatte hören wollen. »Du, Colin, hättest unsere Mercedes werden sollen. Und Danny, du wärst unsere Deirdre gewesen.«
    Colin seufzte.
    Bescheuerte Kuh, dachte er und wunderte sich, wie sehr er sich noch immer über diese Äußerungen ärgern konnte.
    Wie auch immer, jedenfalls war keines der Autos der weiße Mercedes, dessen Anblick ihm so verhasst war. Das eine war der grüne Rover seines Vaters, den dieser Miss Robinson vermacht hatte, das andere war ein neuer schwarzer Vauxhall, den er noch nie gesehen hatte (und Mr. Munro fuhr ein Motorrad, das hatte er schon immer getan - und, nebenbei bemerkt, den Jungs damit nicht wenig imponiert).
    »Colin!« Die Stimme riss ihn in den Augenblick zurück.
    »Miss Robinson!«
    Mit ernstem Gesicht stand sie im Türrahmen, die Hände gefaltet, als sei sie in der Kirche. Sie war elegant gekleidet und sah aus wie eine ältere Dame aus Cornwall, die ihre freie Zeit damit verbringt, die Rosenstöcke an der Gartenmauer zu pflegen.
    »Ich dachte, du kommst früher.«
    Something wicked this way comes.
    Juhuu!
    »Es ging nicht schneller.«
    »Du siehst müde aus.«
    »Ich weiß.«
    Sie rührte sich nicht von der Stelle. Stattdessen schritten Colin und Livia die Stufen zu ihr empor.
    »Du hättest hier übernachten können.«
    Colin reichte ihr förmlich die Hand, »Ich konnte mich gerade noch so beherrschen«, sagte er nur und stellte seine Begleiterin vor: »Das ist Liviana Lassandri.«
    Miss Robinson musterte die junge Frau eingehend und lange, und Colin fragte sich, ob ihr Blick so abschätzig gemeint war, wie er aussah. »Ihren Namen kenne ich von irgendwoher.«
    »Giovanni Lassandri«, antwortete Livia, nur äußerst kurz angebunden und in Fragmenten: »Mein Vater macht die Bestattungen, in Stranraer.«
    Miss Robinson erwiderte: »Ah.« Sonst nichts.
    »Wir müssen wohl reden«, sagte Colin und schaute an der hohen Mauer empor. »Oder ist meine Mutter etwa wieder aufgetaucht?« Er konnte es sich nicht verkneifen.
    »Nein, ist sie nicht.« Miss Robinson warf ihm einen strengen Blick zu, wie sie es früher schon hatte tun können, wenn er etwas angestellt hatte oder auch nur vorlaut gewesen war.
    »Das alles ist eine sehr merkwürdige Situation«, bemerkte Colin.
    Miss Robinson nickte.
    Und Colin fiel auf, wie sehr er die alte Dame doch mit seinem Zuhause verband. Es hatte keine Zeit gegeben, zumindest keine, an die er sich bewusst erinnern konnte, in der Miss Robinson nicht in Ravenscraig gewesen war. Schon immer hatte sie sich um alles gekümmert und

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