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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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legte sich eine kleine grüne Olive auf den Handrücken und wiederholte das Kunststück vom Vortag. Flink schnappte sie nach der fliegenden Olive und verspeiste »Ich kann's jetzt.« Sie schien außer sich zu sein vor Freude. »Ich kann es, weil du da bist.«
    Colin wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er entschied sich für ein trockenes: »Das ist toll.«
    Sie gab ihm einen leichten Stups. »Das ist mehr als toll, das hat was zu bedeuten.«
    Colin lächelte, schüchtern und traurig zugleich. Er dachte an seinen kleinen Bruder und an Ravenscraig und daran, dass er, so schön es auf dem Friedhof auch war, dorthin zurückkehren musste. Er war nur ein Junge, und Ravenscraig war seine Welt. Er ahnte, dass es nicht auf immer und ewig so sein würde. Nein, sobald er von dort fortgehen könnte, würde er es tun. In dunklen Nächten hatte er schon früher Fluchtpläne geschmiedet, aber keinen von ihnen in die Tat umgesetzt.
    »Livia?«
    Sie rückte näher, ganz nah. Er konnte ihren Atem spüren.
    »Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«
    »Würdest du es nicht tun, wenn ich Nein sage?« Sie ergriff seine Hand, was Antwort genug war.
    »Schaust du dir hin und wieder Western an?«, fragte Colin.
    Livia blinzelte verwundert. Was auch immer sie erwartet hatte, das hier wohl nicht. »Western?«
    »Ja, alte Western. Fred Zinnemann, Howard Hawks.«
    »Nun ja, ähm, manchmal.«
    »Kennst du Rio Bravo?«
    »Den Film mit John Wayne und Dean Martin, in dem der Mexikaner die ganze Zeit über Trompete spielt und der Typ, der Colorado heißt, mit der Schrotflinte das Schild trifft, das den Bösen trifft?«
    Colin Darcy, der sich nicht sicher war, ob sie den richtigen Film meinte, musste grinsen. »Du kennst dich wirklich gut aus für ein Mädchen.« Und dann erzählte er ihr von Rio Bravo, denn das war das Geheimnis, das Danny und er teilten. Der Ort, den sie kannten, seit sie an einem schwülen Sommertag den Film gesehen hatten.
    »Ich weiß noch genau, wie du mir damals davon erzählt hast«, sagte Livia jetzt.
    Colin Darcy stand noch immer völlig regungslos vor ihr, das konnte er wirklich gut, und wusste nicht, was sie meinte.
    »Was immer deine Mutter auch tun kann, Colin«, half sie ihm auf die Sprünge, »du kannst es ebenso. Und Danny hatte es auch gekonnt.« Und dann sagte sie: »Du hast mir von Rio Bravo erzählt.«
    Colin machte den Mund auf, weil er etwas sagen wollte.
    Und sagte es nicht.
    Denn genau das war der Moment, in dem Miss Robinson in den Salon zurückkehrte.
    »Der Constable ist endlich fort«, sagte sie.
    Colin brauchte einen Moment, um sich zu fassen. Livia löste den Griff, und beide gingen sie zum Tisch zurück.
    »Was ist mit Danny?«, wollte Colin wissen. »Warum, zur Hölle, haben Sie am Telefon nichts gesagt?« Er war wütend, ja, jetzt war er wütend. Der Constable hatte mehr über seinen kleinen Bruder gewusst als er selbst.
    Miss Robinson zögerte, wenngleich auch nur kurz. »Er wollte nicht, dass du in die Sache hineingezogen wirst.«
    »In welche Sache?«
    »Das hat er nicht gesagt.«
    Colin wurde ungeduldig. »Geht das auch etwas konkreter?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Was soll das denn wieder heißen?«
    Miss Robinson nahm auf dem Sofa Platz und schenkte sich neuen Tee ein. »Wir sollten in Ruhe darüber reden, Colin. Du weißt, dass Danny schon immer seinen eigenen Kopf hatte.« Sie seufzte. »Aber als er hier ankam, da ging es ihm wirklich nicht gut. Nur eine Nacht hat er oben in seinem alten Zimmer geschlafen. Er kam spätabends an, direkt aus Prestwick, mit einem Leihwagen, übrigens auch ein grüner Rover, und er war müde und schlecht gelaunt. Du weißt, wie er dann ist. Er wollte gar nicht reden, sagte nur, dass er aus Wyoming kam, dass er verheiratet sei und bald Vater eines Sohnes sein würde.«
    Colin riss die Augen auf. Danny - dieser Stinker! »Ich werde Onkel?«
    Livia saß neben ihm und schwieg, schien den Gedanken mit dem Onkel aber komisch zu finden.
    »Schlimmer noch«, sagte Miss Robinson, »deine Mutter wird jetzt Großmutter.«
    Colin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Das wird sie aber freuen.«
    »Sie weiß noch nichts davon. Danny hat angerufen, weil er es ihr sagen wollte.«
    Misstrauen begann sich zu regen wie ein Wiesel, das im tiefsten Winter die Schnauze in den Wind hält. Danny wollte ihr sagen, dass sie Großmutter wird?
    »Er wollte wissen, wie es Helen geht, und ihr sagen, dass sie schon bald eine richtige Großmutter sein wird.«
    Colin warf Livia

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