Fabula
einen belustigten Blick zu. »DAS hätte ihr auf jeden Fall den Abend verdorben.« Zum ersten Mal an diesem Tag musste Colin laut lachen.
»Das ist nicht lustig«, kommentierte Miss Robinson sein Benehmen.
Colin hielt sich die Hand vor den Mund. »Doch, ist es.«
Helen Darcy, eine Großmutter!
Sie würde ausrasten, wenn sie es erführe. Ein Enkelkind - und dann nicht einmal ein Mädchen!
»Hoffentlich taucht sie bald hier auf, dann werde ich es ihr sagen. Das Gesicht lasse ich mir ungern entgehen.«
»Sei nicht so gemein, Colin«, schalt ihn Miss Robinson. »Deine Mutter hat dich vermisst. Und deinen Bruder hat sie auch vermisst. Sie hat es nicht verdient, so von ihren einzigen Söhnen behandelt zu werden.«
»Doch, hat sie.« Seine Stimme war fest und ohne Bedauern. Mit einem Schlag wurde er wieder ernst. »Was hat er sonst noch gesagt?«
»Nicht viel. Er wirkte irgendwie besorgt. Er sagte, dass seine Frau im achten Monat schwanger sei, und dann fragte ich ihn, ob es ihm denn nichts ausmache, seine Frau jetzt noch allein zu lassen. Darauf ging er nicht ein. Stattdessen wollte er nur wissen, was Helen in den letzten Tagen vor ihrem Verschwinden gemacht hatte. Er fragte, wohin sie gefahren sei, und nannte einige Orte: Stranraer, Prestwick, Edinburgh, Culzean Castle.«
Colin horchte auf. »Culzean Castle?« Stimmte es nicht, dass die Burg jüngst verkauft worden war? Davon hatte er doch gelesen. Ja, die Attraktion für Touristen war aufgekauft worden und jetzt nicht mehr für Besucher zugänglich.
Miss Robinson zuckte die Achseln. »Er hat noch andere Orte genannt, einfach so. Er hat überhaupt viele Fragen gestellt.«
»Welche anderen Fragen?«
»Ob sie Besuch bekommen hätte. Ob sie sich seltsam verhalten hätte.«
»Sie hat sich immer seltsam verhalten.«
»Colin!« Es war die Stimme der Gouvernante, die er seit Jahren schon nicht mehr gehört hatte.
»Und dann?«
Miss Robinson fasste sich. »Dann sagte ich ihm, dass deine Mutter nach Stranraer gefahren war, um Tee zu kaufen, bei McGrady, da kauft sie ihn immer, und dass man ihren Wagen vor dem Teeladen gefunden hat. Das war alles, was ich wusste. Am Morgen nach seiner Ankunft in Ravenscraig ist Danny dann losgefahren, und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
»Sie haben es sofort der Polizei gemeldet?«
»Naja, was hätte ich denn tun sollen?«
Colin nickte. Da hatte sie auch wieder recht.
»Hat man seinen Wagen gefunden?«
»Nein, keine Spur.«
»Hat man danach gesucht?«
»Der Constable sagte, sie halten die Augen offen.«
»Warum ist Danny überhaupt hergekommen?« Das war die einzige Frage, die Colin bewegte und auf die er keine Antwort wusste. »Er hätte in London anrufen können, dann hätte ich mich um alles gekümmert.« Warum hatte er seine schwangere Frau in Amerika zurückgelassen? Das sah ihm gar nicht ähnlich.
Miss Robinson schwieg.
»Ist das alles?«, fragte Colin schließlich.
Die alte Dame nickte. »Was wirst du jetzt tun?«
Colin fiel auf, dass sie Livia ignorierte. Kein einziges Mal hatte sie ihr einen Blick zugeworfen.
»Ich fahre nach Stranraer«, sagte er und erhob sich von seinem Platz.
Livia tat es ihm gleich.
»Kommst du wieder her?«
»Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.«
Miss Robinson nahm das zur Kenntnis. »Du bist schon immer viel zu ehrlich gewesen.«
»Das habe ich nicht von ihr«, sagte Colin.
Sofern Miss Robinson etwas darauf erwidern wollte, verkniff sie es sich.
Gut so!, dachte Colin.
Er ging zu dem Sekretär aus dem achtzehnten Jahrhundert. Zwei Photos standen dort, gerahmt. Das eine zeigte Helen Darcy, das andere Archibald Darcy. Irgendwie passte es, dass es kein Photo war, das sie gemeinsam zeigte.
Helen Darcy lächelte auf dem Bild. Ihre schmalen Lippen waren derart grimassenhaft zu einem Lächeln verzogen, dass Colin sich unweigerlich fragte, ob es ihr Schmerzen bereitet hatte, so auszusehen. Archibald Darcy hingegen sah aus wie Cary Grant mit schlohweißem Haar.
»Ich zeig dir mein Zimmer«, sagte Colin zu Livia. Miss Robinson machte den Mund auf, weil sie etwas sagen wollte, aber Colin hob die Hand und gebot ihr zu schweigen. »Ich kenne den Weg noch, Miss Robinson. Sie können hier unten auf uns warten.«
Er fasste Livia bei der Hand.
Dann führte er sie aus dem Salon, durch das riesige Treppenhaus, hinauf in den ersten Stock, durch weit verzweigte Korridore, die düster waren und in denen es staubig roch.
»Hier aufzuwachsen«, flüsterte Livia, »muss toll sein.«
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