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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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so.
    Er hörte den Regen rauschen und war nicht mehr fünfzehn, sondern mit einem Schlag siebenunddreißig. Er saß neben Livia Lassandri auf dem Sofa in deren Kate nahe Black Head.
    Wenn man durch das Bullaugenfenster sah, dann konnte man den Leuchtturm erkennen.
    Regen setzte ein, und als er auf das Dach trommelte, da war es fast wie damals, als sie sich in der Efeuhöhle getroffen hatten.
    Livia sah ihn an, wie sie ihn damals schon angesehen hatte.
    »Erinnerst du dich jetzt?«, fragte sie.
    Er nickte nur. »Wie kann es sein, dass ich nicht mehr daran gedacht habe?« »Du hast dir alle nur erdenkliche Mühe gegeben, es nicht mehr zu tun.«
    Er nippte an dem Tee und merkte, dass er kalt geworden war.
    »Du hast es nicht vergessen«, sagte er leise.
    »Keine Sekunde, Colin Darcy.«
    Livia nahm ihm die Tasse aus der Hand und stellte sie neben das Sofa.
    »Nicht eine einzige Sekunde«, wiederholte sie.
    Dann küssten sie sich, weil es das war, was beide wollten.
    Er konnte ihren Duft riechen, ihre Haut, ganz nah. Sie hatten beide so lange gewartet. Livia drückte ihren Körper gegen seinen, und ihre Hand war genau da, wo sie sein sollte. Colin schmeckte ihre weichen Lippen und ertrank in ihren Augen.
    »Geh bloß nicht wieder weg«, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann küssten sie sich, wie sie es sich immer vorgestellt hatten, und der Augenblick, der jetzt endlich da war, gehörte nur ihnen beiden. Livia zog ihn zu Boden, und das war der Moment, in dem die Kamera in den alten schwarz-weißen Filmen dezent aufs Fenster, die eilig fallen gelassenen Kleidungsstücke oder den Plattenspieler schwenkt, weil dies genau der Moment ist, der nur denen gehört, die ihn leben, so tief und verrückt und wild, als gebe es kein Morgen mehr, nie wieder.
    sechstes kapitel
    in dem Colin Darcy viele Seifen kennenlernt, in einen Leuchtturm einbricht, ein Radio zum Orakel wird, Klarheit in einige Angelegenheiten gebracht wird und sich eine gewisse Madame Redgrave vorstellt
    Livia hatte eine besondere Art zu orakeln, das erfuhr Colin, als sie nach Portpatrick fuhren. Doch vorher zeigte sie ihm noch den alten Leuchtturm draußen auf den Klippen.
    Es war später Nachmittag, als sie von der Kate nach Black Head zum Leuchtturm gingen, wo sie erst einmal still dastanden und aufs Meer hinausblickten. Die Wellen schlugen rau gegen die Klippen, und ein kühler Wind wehte. Colin stand hinter Livia und hatte seine Hände auf ihren Bauch gelegt. Er roch ihr Haar und den Duft, der Livia war. Die ganze Zeit über hatten sie kaum gesprochen. Sie waren nebeneinander hergegangen, und das war alles gewesen, was zählte.
    Als sie am Meer standen, da fragte Livia: »Bist du glücklich?«
    Colin küsste ihr Haar.
    Das war ihr Antwort genug.
    »Da drüben ist er, lass uns hingehen.«
    Sie folgten einem schmalen Klippenpfad bis hinunter zum Leuchtturm.
    Nichts von dem, was passiert war, hatte Colin so geplant gehabt. Aber er fühlte sich gut, einfach nur gut.
    Sie waren einander so nah gewesen, Livia und er, zwei Körper, die die Welt um sich herum völlig vergessen hatten, zwei Herzen, die im rasenden Takt des gleichen Liedes gesungen hatten.
    Dann, in der Badewanne, hatte Livia ihm alle möglichen Seifen erklärt, die sich in Dosen und Schachteln neben und unter der Wanne stapelten. Zu jedem auch noch so ausgefallenen Duft wusste sie eine Geschichte zu erzählen. Es gab Seifen als kleine Kugeln und andere, die täuschend echt wie leckere Speisen aussahen, und sie rochen nach Zitrone, Orange, Zimt, nach warmer Milch und Kokos und Honig und Lavendel. In manchen der Kugeln versteckten sich Papierschnitzel, die bunt im Badewasser schwammen, in anderen wiederum fanden sich getrocknete Blütenblätter. Livia wusch ihre und auch Colins Haare mit etwas, was wie ein Stück roter Käse mit weißen Streifen darin aussah und sehr stark nach Lakritze, Mimose, Jasmin und Meeressalz duftete.
    »Das ist auch gut gegen Haarausfall«, sagte sie.
    Colin warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Müsste ich das wissen?«
    Sie küsste ihn und lachte.
    Später, viel später, als das Wasser kalt geworden war und die bunten Blütenblätter und die kleinen Papierschnitzel ihnen wie Farbtupfer auf der Haut klebten, verließen sie die Wanne.
    »Du kannst ja richtig wild sein, wenn man dich lässt«, hatte sie gesagt, als sie sich anzogen.
    Colin hatte ihr einen etwas verlegenen Blick zugeworfen und gegrinst, was, wie er hoffte, verwegen aussah.
    Dann waren sie nach draußen gegangen.
    Das

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