Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
als mehr und mehr Bienen ins Haus eindrangen.
    Wo kommen die nur alle her?, fragte sich Colin.
    Doch die Frage, die er laut stellte, war eine ganz andere.
    »Wer sind Sie?«, krächzte Colin, als er seine Stimme wiederfand, und er hätte unzählige weitere Fragen an diese eine anschließen können: Wo kommen Sie auf einmal her? Wer hat Sie in die Pension gelassen? Warum krabbeln Ihnen Bienen aus dem Mund? Woher wissen Sie, wer ich bin? Was, in aller Welt, wollen Sie von mir?
    »Ich habe in Ihrem Büro angerufen«, sagte sie, »aber man teilte mir mit, dass Sie fort seien.« Die Frau, deren Gesicht hager und voller Falten war, kam auf Colin zu, und es sah so aus, als trete sie förmlich aus der Wand aus Bienen heraus. »Also bin ich hergekommen.« Sie mochte in ihrer Jugend wunderschön gewesen sein, und eigentlich war sie es immer noch. Sie wirkte aristokratisch und unnahbar, wie jemand, der in den alten Hollywoodfilmen jemand Bösen gespielt hat, aber nicht schon immer so war. »Der Grund meines Besuchs«, sagte sie, »ist rein geschäftlicher Natur, könnte man sagen.« Sie erinnerte Colin an Anne Bancroft, irgendwie. Es war ihr Mund, aus dem die Bienen krochen, der aussah wie der Mund der Schauspielerin.
    »Wir müssen miteinander reden«, sagte sie und sah an Colin vorbei ins Zimmer hinein. Dann schnippte sie mit den Fingern. »Die Bienen tun Ihnen nichts.« Sie sagte dies in einem Tonfall, wie Hundebesitzer lapidar betonen, dass ihre Doggen und Pitbulls harmlos sind.
    »Das habe ich bemerkt.« Colin wusste nicht so recht, was er mit dieser Bemerkung anfangen sollte, aber sie war auch nicht wichtig. Jedenfalls nicht jetzt. Er sah, dass sich das Bienenknäuel, das Livia befallen hatte, langsam von ihr löste.
    Jedes der kleinen Tiere, das eben noch ihren Körper bedeckt hatte, flog jetzt hinauf zur Decke des Zimmers und verharrte dort. Es dauerte nur kurze Zeit, und die Decke war ein einziger schwarz-gelber Baldachin aus Bienenleibern.
    Ohne die Frau in Weiß zu beachten, rannte Colin zu Livia, kniete sich neben sie.
    Das Friedhofsmädchen von einst hatte die Augen fest geschlossen. Sie atmete ruhig. Abgesehen davon, dass sie nicht bei Bewusstsein war, schien es ihr gut zu gehen.
    »Was haben Sie mit ihr gemacht?« Er drehte sich zu der seltsamen Frau in Weiß um. Den Zorn und die Verwirrung in seiner Stimme konnte er nicht vor ihr verbergen.
    »Sie schläft nur«, sagte die Frau in Weiß ganz ruhig, »aber keine Angst, sie wird wieder erwachen, wenn wir unser Gespräch beendet haben. Sie müssen sie dann nur küssen, das ist alles.« Sie lächelte, und eine Biene fiel ihr dabei aus dem Mund, landete auf dem Boden und krabbelte zur Tür. »Es ist wie im Märchen. Ein einziger Kuss sollte genügen.«
    »Was soll das alles?«
    Die Frau in Weiß klatschte leise in die Hände und betrat den Raum. »Es geht, wie immer, nur ums Geschäft.« Ihre Augen, die so blau waren, dass es einen schon fast blendete, ruhten auf Livia, dann wieder auf Colin. »Aber zuerst sollte ich mich vorstellen, nicht wahr?!« Sie lächelte dünn. »Ich bin die neue Eigentümerin von Culzean Castle.« Sie verneigte sich leicht, und Colin fragte sich für einen Moment, ob diese Verneigung altmodisch zu nennen oder einfach nur reinster Spott war. »Ich bin«, sagte sie, »Pandora Redgrave.«
    »Colin Darcy«, sagte Colin Darcy.
    Zugegebenermaßen verdutzt.
    »Madame Redgrave«, stellte sie klar, »ist die Anrede, die mir gefällt.«
    »Wo kommen all die Bienen her?«
    »Keine Angst, die gehören zu mir.«
    Na, klasse!
    Tolle Antwort!
    Colin, der noch immer neben Livia kniete, hielt deren Hand, als könne das etwas bewirken.
    »Sie können sich erheben, Mr. Darcy. Die Bienen werden Ihnen beiden nichts tun.« Der Glanz in ihren Augen, der irgendwie grell war, wurde zu klirrendem Eis. »Jedenfalls nicht, wenn ich es ihnen nicht sage.« Sie lächelte wieder, ganz gönnerhaft. »Aber das können Sie sich ja denken, nicht wahr?«
    Er erhob sich und stand ratlos im Raum.
    Hinter ihm bedeckte der Vorhang aus Bienen noch immer das Fenster.
    »Sie könnten mir einen Stuhl anbieten«, schlug Madame Redgrave vor.
    Colin folgte ihrem Blick zu dem einzigen Stuhl, der vor dem Bett stand.
    »Nehmen Sie Platz«, forderte er sie auf. Skurrilerweise kam ihm gerade jetzt in den Sinn, dass Livia gesagt hatte, seine Stimme klinge quakend. Zur Sache tat das allerdings nichts.
    Nun denn.
    »Vielen Dank.« Die Bienen hinter ihr surrten zufrieden.
    Colin setzte sich auf

Weitere Kostenlose Bücher