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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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nicht, ob es wirklich so war.« Er musste schlucken und spürte eine seltsame Verwirrung, die ihm in den Augen brannte. »Es gab auch schöne Momente, nur die sind jetzt fort.« Er versuchte sie zu packen, aber sie entschlüpften ihm durch die Finger. Helen Darcy hatte ihren Söhnen immer Geschichten erzählt, und nicht alle Geschichten waren eine Strafe gewesen. Manchmal, ja manchmal, da hatte sie die Jungs aufregende Abenteuer bestehen lassen. Sie hatte das Haus in einen magischen Ort verwandeln können, wo Geheimnisse, die in den Zimmern schlummerten, entdeckt werden wollten. Sie hatte sie nach Faerie entführen können, wenn sie nur gewollt hatte. Doch all diese Augenblicke, die ihre Kindheit auch schön gemacht hatten, waren immer mehr verblasst im Vergleich zu den anderen Bildern, die weh taten und scharf umrissen waren wie Photos, die erst vor kurzer Zeit abgezogen worden waren.
    »Stell lieber noch eine Frage«, schlug Livia vor, die bitterste Besorgnis erkannte, wenn sie welche sah.
    »Wie geht es Liviana Lassandri?«
    Er wartete.
    Nichts.
    »Du musst am Knopf drehen«, sagte sie, »sonst funktioniert es nicht.«
    »Nein?«
    »Nein!«
    Er drehte so lange an dem klobigen Knopf, bis das Rauschen und Knacken verschwand.
    »Doris Day!«, freute sich Livia.
    Whafever will be, will be.
    »Das bist dann wohl du«, stellte Colin fest. Er schüttelte den Kopf, ließ Doris Day zu Ende singen und fragte sich selbst und laut: »Was sind das nur für seltsame Sender...«
    »Und das hier«, fiel ihm Livia ins Wort, als sie die gewundene Straße nach Portpatrick hinunterfuhren, »ist das, was jetzt ist.« Flink drehte sie den Knopf.
    Summer Vine.
    The Corrs und Bono.
    Perfekt!
    Livia lehnte sich zufrieden zurück, ließ den Arm aus dem geöffneten Fenster zu ihrer Linken baumeln und fasste die Luft an, die kühl und voller Melodien war wie der Wind, den die See ihnen schenkte.
    Schweigend fuhren sie so durch die Straßen von Portpatrick, vorbei am Hafen und hinauf zum Hügel, wo sie den Rover abstellten und die Ancient Mariner's Lodge betraten.
    Keiner der beiden bemerkte die Biene, die sich unauffällig auf der Windschutzscheibe des Rovers niedergelassen hatte und dort still verharrte.
    Denn Colin Darcy und Livia Lassandri, das Friedhofsmädchen, hatten noch immer Summer Vine in Kopf und Blut, als sie die Tür hinter sich schlossen, und keiner von beiden ahnte auch nur im Geringsten, wie schnell sich die wirklich guten Dinge zum Schlechteren wenden können, wenn man am wenigsten damit rechnet.
    Die Sachen, die Colin ausgepackt hatte, waren schnell in die Tasche zurückgestopft. Livia saß auf dem Bett und sah ihm bei dem, was er tat, zu, das war alles. Sie summte leise die Melodie aus dem Autoradio und wiegte ihren Oberkörper dabei unentwegt hin und her.
    Dann bemerkte sie die Bienen.
    Zuerst war es nur ein leises Summen, das vom Fenster herkam, und sie dachte sich wohl nichts dabei. Dann sprang sie mit einem Mal auf und wich einen Schritt ins Zimmer zurück.
    »Was hast du?« Colin sah an ihr vorbei zum Fenster und verstand ihre Reaktion augenblicklich.
    »Wo kommen die denn her?«
    Colin fielen nicht gerade viele Antworten ein, und keine davon war besonders einleuchtend.
    Das gesamte Fenster war mit Bienen bedeckt.
    Die winzigen schwarz-gelben Leiber wuselten über die Glasscheibe, und Colin war dankbar, dass er es vorhin versäumt hatte, das Fenster zu öffnen.
    Livia war dicht neben ihm.
    Colin hatte Bilder von Bienenstöcken gesehen. Die Waben sahen, wenn Bienen über sie krabbelten, hinter einer Glasplatte genauso aus wie das hier.
    »Es ist unheimlich.«
    »Ja.« Was sollte er anderes sagen?
    Es war unheimlich.
    Es war sogar verdammt unheimlich.
    Die emsig wuselnden Bienen versperrten die Sicht auf die Bucht und den Hafen und den Teil von Portpatrick, durch den sie eben noch gefahren waren. Herrje, es musste ein ganzes Bienenvolk sein, das da draußen an der Scheibe klebte!
    Instinktiv überprüfte Colin die Verriegelung des Fensters und trat dann wieder in gebührenden Abstand zurück.
    »Alles okay«, murmelte er.
    Die Bienen saßen nur da, das war alles. Sie wirkten nicht aggressiv. Sie waren einfach nur da.
    Trotzdem!
    Normalerweise tauchten hier in dieser Gegend und um diese Jahreszeit keine Bienenschwärme auf.
    »Sehen sie aus wie Killerbienen?«
    Colin zog ein Gesicht.
    »War nicht ernst gemeint«, sagte Livia. Dann trat sie näher ans Fenster heran.
    »Was hast du vor?«
    Sie legte die Hand flach auf das

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