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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Er hatte es einfach nur »Mutter« genannt.
    »Es ist nicht ungefährlich, sich mit einer Sherazade einzulassen«, sagte Madame Redgrave.
    Auch dazu ließ Colin ein leises »Ich weiß« verlauten.
    Maclame Redgrave lächelte siegessicher. »Daniel Darcy wusste das, als er mich aufsuchte. Im Grunde trieben ihn die gleichen Dinge an, die Menschen immer antreiben, wenn sie mich aufsuchen. Sie sind verzweifelt, weil etwas in ihrem Leben falsch läuft. Dieses gewisse Etwas hat gewöhnlich mit einer gewissen Person zu tun. Und diese gewisse Person war in Ihres Bruders Fall seine Mutter, ganz gewiss, eine Mutter, die vor allem keine gewöhnliche Mutter war, was, nebenbei bemerkt, oftmals schon schlimm genug sein kann. Nein, Helen Darcy war eine Erzählspinnerin, eine Hexe des Wortes, ein Geschöpf der Träume.«
    Jeder einzelne Begriff hakte sich in Colins Gedächtnis.
    Erzählspinnerin.
    Worthexe.
    Geschöpf der Träume.
    »Was haben Sie mit ihr gemacht?«
    Sie lachte. »Ich habe sie auf den Mond geschickt.«
    Colin stutzte.
    Hatte er das richtig verstanden?
    »Sie haben sie auf den Mond geschickt?«
    »Sagte ich das nicht gerade?«
    »Doch, ja, aber ...«
    »Mr. Moon ist kein schlechter Kerl, aber äußerst nachtragend, wenn er nicht entlohnt wird.«
    »Mr. Moon?«
    »Der Mond. Mr. Moon. Manche nennen ihn auch Ziggy Stardust.«
    Colin deutete zur Decke. »Sie meinen«, hakte er nach, »den Mond da oben? Den richtigen Mond?«
    »Kennen Sie einen anderen?«
    »Nein.«
    »Dann beantwortet das Ihre Frage wohl zur Genüge, oder?!«
    Er nickte. »Ja, natürlich.«
    »Mr. Moon hat sie zu sich genommen. Auf mein Bitten hin, versteht sich.«
    »Meine Mutter lebt jetzt auf dem Mond?«
    »Im Mond«, verbesserte ihn Madame Redgrave, »das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.«
    Okay, lebt sie eben im Mond, dachte Colin.
    »Mr. Moon«, Madame Redgrave musste leise kichern: »Ziggy.« Sie sah auf einmal wieder jung aus, fand das anscheinend lustig. Dann fuhr sie fort: »Mr. Moon, das sollte ich erwähnen, ist ein zuweilen recht wankelmütiger ... Mann. Das ist eben so, wenn sich jemand unglücklich verliebt. Und das ist ihm passiert, was nicht schön ist, sich aber nicht ändern lässt.«
    Mr. Moon - Ziggy?! - war unglücklich verliebt?
    »Eine tragische Geschichte«, holte Madame Redgrave aus, »wie sie die Dichter aus alten Zeiten nicht besser hätten schildern können.« Sie griff sich ins graue Haar und betrachtete die Bienen, die jetzt an ihren Fingern klebten und ihre Flügel streckten. »Mr. Moon lernte Lady Sunshine auf einer Party des Monats Oktober kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick, ja, so kann man es sagen. Aber, wie man weiß, die beiden lebten an Orten, die so weit voneinander entfernt waren, dass eine ernsthafte Beziehung von Anläng an zum Scheitern verurteilt war. Die beiden trafen sich auf den Partys der Monate, aber Sie werden mir zweifelsohne zugestehen, dass es nicht besonders förderlich für eine Beziehung ist, wenn man sich nur zwölfmal im Jahr zu Gesicht bekommt.« Das gleißende Licht, das in ihren Augen so grell war, wurde zu einem Flackern, ganz kurz nur.
    »Was ist passiert?«
    Colin fragte sich, was dies alles mit seiner Mutter zu tun hatte und in welchen Schlamassel Danny da hineingeraten »Lady Sunshine hatte ein Techtelmechtel mit dem Monat Mai, und Mr. Moon tröstete sich mit dem Monat April.« Sie zog ein Gesicht. »Das war es dann. Schluss, aus, vorbei.« Sie seufzte, und eine Biene flog ihr aus dem Mund. »Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Mr. Moon ist kein lustiger Geselle. Er ist niemand, dem das Glück der Sterblichen am Herzen liegt. Er lebt in seiner Welt, und manchmal, ja manchmal, da ist er mir zu Diensten, wenn ich mit einer Bitte an ihn herantrete.«
    »Meine Mutter ist also bei Mr. Moon.« Wenn man es erst einmal laut aussprach, dann klang es, fand Colin, ziemlich bescheuert.
    Madame Redgrave, die nicht fand, dass es sich bescheuert anhörte, sagte jedoch: »Es ist kompliziert, denn der Preis, den zu zahlen Mr. Moon einem abverlangt, wurde noch nicht entrichtet.« Die Biene auf ihrem Kinn surrte zu den anderen. »Wenn jemand wie Ihr Bruder zu mir kommt, damit jemand wie Ihrer beider Mutter vom Angcsicht der Erde getilgt wird, dann tut er das wohl kaum, weil er die Person, die verschwinden soll, besonders gern hat. Jetzt stellen Sie sich vor, dass Ihre Mutter und Ihr Bruder gemeinsam im Mond zu leben gezwungen wären.«
    »Jeder von beiden wäre des anderen

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