Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
eines Films. Die Menschen hatten getan, was Menschen in einer Westernstadt so tun, eben das, was Jungs sie im Fernsehen tun sehen.
    Doch jetzt waren die Kutscherstraße und die Hauptstraße verlassen. Da war nur die Musik, The River, von weither.
    »Glaubst du, dass es hier gefährlich ist?«, fragte Livia mit einem Mal.
    Colin zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Früher war es das, manchmal.« Hin und wieder waren Banden in die Stadt gekommen, einmal war die Bank ausgeraubt worden. Es kamen Fremde in die Stadt, dunkle Gestalten, und manchmal auch Glücksspieler. Aber Colin und Danny hatten immer für Ordnung gesorgt. Es war wie ein Traum gewesen und niemals wirklich gefährlich. Selbst wenn es zu Schießereien gekommen war, hatte man nie Angst haben müssen, verletzt zu werden, nicht wirklich.
    Sie gingen weiter.
    Down to the river.
    Vorbei an den Häusern, deren Türen weit offen standen. Der Wind ließ die Türen und Fensterläden unruhig auf- und zuschlagen. Wilde Windhexen wehten durch die Straßen.
    And into the river we dive.
    »Das«, stellte Livia fest, »ist eine Geisterstadt.«
    Colin sah sie von der Seite an. Sie schien keine Angst zu haben, eher noch war sie fasziniert.
    »Ihr wart zu lange fort.«
    »Hm.«
    »Ich bin noch nie in einer Geisterstadt gewesen.« Sie wirkte neugierig. »Glaubst du, dass hier wirklich Gespenster leben? Die ruhelosen Geister derjenigen, die irgendwann einmal von Rio Bravo träumten?« Sie musterte ihn von der »Ich weiß nicht.«
    Livia gab ihm einen Stups. »Kannst du auch mal was anderes sagen?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich ...«
    Sie gab ihm noch einen Stups.
    Sah ihn gespielt wütend an.
    Colin hielt inne und sagte dann: »Ja.«
    »Gut so.«
    »Vielleicht war der Traum von letzter Nacht wirklich ein Hinweis.«
    »Arthur hat dich gemocht. Vielleicht wollte er dir damit etwas sagen.«
    »Dass ein Schwärm Vögel ihn getötet hat?«
    Warum nicht?
    Come on.
    Tie a yellow ribbon round the ole oak tree.
    Es wäre doch möglich.
    Just Tor you and me.
    »Du hast es geträumt. Es war dein Traum. Und Träume sagen einem immer etwas.«
    »Ja, vielleicht.« Er wollte jetzt gar nicht darüber nachdenken. »Hier ist alles so anders«, sagte er, und es klang fast, als sehne er sich danach, in dieser Stadt zu bleiben. »Es ist so ...«
    »Einfach.«
    Er sah sie an. »Ja, genau das ist es. Einfach. Es ist einfach.«
    »Das Leben ist nicht einfach, war es noch nie.«
    »Das klingt aber ...«
    »Verbittert?«
    Er nickte.
    »Soll es aber nicht. Das Leben ist nun einmal so.«
    The River wurde noch immer gespielt, irgendwo jenseits der Stadt, vor ihnen.
    Schweigend folgten sie der Hauptstraße.
    Am Ende des Ortes, dort, wo im Film eigentlich die Prärie hätte beginnen müssen und stattdessen grüne Hügel die Küstenlinie der Rhinns of Galloway erahnen ließen, trafen sie auf den jungen Mann. Er saß mitten in den Hügeln vor einer Feuerstelle.
    Er trug schwarze Kleidung wie Johnny Cash und saß vor einem Feuer und spielte auf seiner Gitarre.
    Die Flammen knisterten, und dünner Rauch stieg auf. Über dem Feuer briet ein Tier, das wie ein Hühnchen aussah, an einem Stock, der im Boden steckte. Gleich daneben entdeckte Colin einen Blechtopf, aus dem es nach heißen Bohnen roch.
    Als der Mann die beiden nahen sah, legte er die Gitarre beiseite und erhob sich.
    Colin erkannte aus der schnell schrumpfenden Entfernung, dass die rechte Hand des Mannes in Schwarz auf dem Revolvergriff aus hellem Holz ruhte - man konnte ja nie wissen. Er blinzelte ins gleißende Sonnenlicht und ließ die beiden Fremden nicht aus den Augen.
    Dann, nach unendlich langen Augenblicken, zu denen man sich Musik von Elmar Bernstein und vielleicht noch Ennio Morricone wünschte, ließ der Mann in Schwarz den Revolvergriff los und kam einen Schritt auf sie zu.
    »Colin?« Langsam, zweifelnd, kam er noch einen Schritt näher.
    Colin blieb vor seinem Bruder stehen, wie angewurzelt, dann hob er die Hand zum Gruß und sagte: »Hey!«
    Danny, der erwachsen aussah, fragte: »Was, in aller Welt, machst du denn hier?«
    »Ich war in der Gegend«, antwortete Colin, »Das ist Livia, ihr kennt euch.«
    »Hallo Danny«, sagte Livia.
    »Hallo Livia«, sagte Danny.
    Dann standen die drei einfach nur im Kreis, und eine Weile sagte keiner ein Wort.
    Es gab keine Geräusche mehr, nur ihrer aller Atem, der sich im Wind verfing.
    Das und ein fernes Echo von The River.
    Nur Verlegenheit.
    Keine Umarmung, keine stürmische Begrüßung.

Weitere Kostenlose Bücher