Fabula
Zwischen dem letzten »Mach's gut!« und dem lässigen »Hey!« lagen sieben Jahre, und die Zeit, das wusste Colin, stand auch jetzt noch in ihrer Mitte.
Danny trug einen dichten schwarzen Vollbart, der sein Gesicht verbarg. Die dunklen wachsamen Augen, die fast wie Colins Augen waren, nur ein klein wenig anders, ruhten auf dem großen Bruder.
Danny wirkte ernster als früher und reifer. Er sah aus wie ein Mann, der den Weg, den er einmal eingeschlagen hatte, auch zu Ende geht.
»Es ist lange her«, sagte Colin. Er wusste nicht, was er erwartet hatte - Jubelgeschrei, ein Lied, Fanfaren? Unbeholfen standen sie alle da und sahen einander an.
»Mama ist jetzt im Mond«, verkündete Danny Darcy schließlich die frohe Botschaft, und zum ersten Mal grinste er so wie früher, als er noch fünf Jahre alt und ein kleiner Junge gewesen war. Er grinste wie damals, wenn er etwas angestellt und noch nicht erwischt worden war.
Colin antwortete nur: »Ich weiß.«
Das waren die beiden Worte, die das Eis brechen ließen.
»Woher, in aller Welt, weißt du davon?«, fragte Danny verdutzt.
»Madame Redgrave hat es mir gesagt.«
»Scheiße«, sagte Danny und trat mit den Schuhen in den Dreck. Er trug Biker-Boots, schwarz und staubig.
»Sie ist nicht gut auf dich zu sprechen.«
Er winkte ab. »Ja, ich weiß. Deswegen bin ich ja hier.«
»Sie sucht dich.«
»Hier wird sie mich nicht linden.« Er grinste schlitzohrig, aber wenig siegessicher, »Das hier ist nicht zugänglich für Leute wie sie, das habe ich schon herausgefunden. Rio Bravo ist tabu. Sie wäre längst hier aufgetaucht, wenn sie es könnte. Sie sucht mich seit Tagen und will mich holen.«
»Sie hat mich geschickt, damit ich das tue«, sagte Colin. Er hatte seinen kleinen Bruder, der jetzt groß war, noch nie belogen, und er dachte auch nicht daran, nun plötzlich damit anzufangen.
»Du sollst mich zu ihr bringen?«
Er nickte.
»Na, klasse.«
»Livia wird sonst sterben.«
Das Friedhofsmädchen von einst krempelte sich den Ärmel hoch und zeigte Danny das Mal auf ihrer Haut.
Die Wabe sah noch immer lebendig aus, und man konnte den Punkt erkennen, wo die Biene zugestochen hatte.
Danny trat erneut in den Staub. »Mist, so hatte ich mir den Deal nicht vorgestellt.« Er seufzte und rieb sich die Augen. Dann schlug er vor, einen Kaffee zu trinken. »Kaffee tut gut. Wir müssen reden.« Er ging zum Feuer zurück. »Mama ist jetzt im Mond, okay, das weißt du, aber den Rest der Geschichte«, er schaute ihn an, »den kennst du noch nicht.« Sein Blick wanderte zu Livia: »Und du auch nicht.«
Colin und Livia traten ans Feuer und setzten sich.
Danny hatte eine verbeulte uralte Blechkanne mitten in die Flammen gestellt.
»Kaffee?«
»Schwarz«, sagte Colin.
»Für mich auch«, sagte Livia.
Danny schenkte den Kaffee in drei Tassen aus Blech ein.
»Du hast genau drei Tassen?«, fragte Livia.
»Hier ist Rio Bravo«, antwortete Danny und sagte damit alles, was es zu sagen gab. Er wandte sich wieder an Colin. »Du siehst fertig aus«, sagte er, »aber glücklich.«
Colin nickte nur und schenkte Livia einen langen Blick.
Er musste plötzlich an Danny in der Kirche denken. Damals war er vier Jahre alt gewesen.
Der Korb mit den Spenden wurde herumgereicht, und als er bei den Darcys angekommen war, da griff Danny hinein und hatte plötzlich die geschlossene Faust voller Geld. Münzen und Scheine quollen ihm, wie im Comic, zwischen den Fingern hindurch.
Helen, die neben Danny saß, war augenblicklich peinlich berührt und packte die Hand ihres Sohnes und befahl ihm, das Geld loszulassen. Doch Danny war bockig, schüttelte beharrlich den Kopf und hielt das Geld nur umso fester in der einen Hand und den Korb in der anderen.
Die ersten Leute begannen zu schauen, was dort los war. Helen Darcy war inzwischen höchst peinlich berührt. Sie hasste es, wenn sie in der Öffentlichkeit nicht gut aussah. Und ihrer Meinung nach sah eine Mutter nicht gut aus in der Öffentlichkeit, wenn ihr kleiner Sohn das machte, was Danny gerade tat.
Sie zischte ihm zu, er solle das Geld loslassen, doch Danny weigerte sich. Sie packte ihn am Handgelenk, so fest es nur ging, und dann schüttelte sie es so lange, bis der ganze Korb durch die Gegend flog. Das war auch der Moment, in dem Danny die Münzen und die Scheine losließ. Mit einem lauten Klimpern und Scheppern prasselte ein Münzregen auf den Steinboden, und jetzt hatte wirklich der Letzte in der Kirche bemerkt, dass einer der
Weitere Kostenlose Bücher