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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hier lebt.«
    So war es früher gewesen, irgendwie anders.
    Als die Darcy-Jungs als Kinder hier gewesen waren, da hatte sich ihre Kleidung der Umgebung angepasst, sie hatten wie echte Revolvermänner ausgesehen, mit Gürteln aus Leder, die silberne Schnallen hatten, mächtigen Gürteln, an denen die Revolver mit den glatten Sandelholzgriffen hingen. Dazu hatten sie Westen, Halstücher und richtige Cowboystiefcl getragen.
    Eine Jungs-Phantasie, ganz und gar.
    Und Livia, die nicht anders aussah als noch vorhin, fragte: »Was machen wir jetzt?«
    Colin, der ebenfalls noch genauso aussah wie in den richtigen Rhinns of Galloway, deutete in die Richtung, aus der die Musik kam. »Wir gehen zu Danny.« Er wirkte nervös, was nicht weiter verwunderlich war. Immerhin war dies das erste Mal seit sieben langen Jahren, dass er seinem Bruder begegnete. All die verworrenen Fragen, die er sich vorher nicht gestellt hatte, waren jetzt da: Wie würde Danny ihm gegenübertreten? Wäre es wie früher, oder hätten sie sich nichts mehr zu sagen? Würde Danny sich an all die Dinge erinnern, die Colin die ganze Zeit über so bereitwillig vergessen hatte?
    Es war einfach ein seltsames Gefühl, ihn nach all den Jahren wiederzusehen, und dann noch ausgerechnet hier.
    »Er wird sich freuen, dich zu sehen«, sagte Livia.
    »Sieht man mir die Bedenken an?«
    Sie küsste ihn. »Ich kenne dich, Colin Darcy. Vergiss das nie.« Sie roch nach der minzigen Seife. »Ich wette, du bist noch nie zuvor in Rio Bravo geküsst worden.«
    »Glaubst du, dass der Constable mich ...«
    »Was? Dass er dich verhaften wollte?« »Ja.«
    »Keine Ahnung. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen.«
    »Er ist eine richtige Klette«, murrte Colin und fragte sich erneut, was in London vor sich gegangen war. Rachel Duncan war zuverlässig, eine gute Seele, und wenn sie behauptete, dass er dort gewesen war, dann ...
    Was?
    Er seufzte.
    Ich bin nicht dort gewesen. Ich habe mich in der City mit Fucking-Shila getroffen und mir ein langweiliges Gesprächsthema nach dem anderen angetan. Es ist gar nicht möglich, dass Rachel mich dort gesehen hat. Und es ist dann auch nicht möglich, dass ich die Mail an Arthur geschrieben habe.
    Hier, an diesem Ort, über das London-Leben nachzudenken war noch viel seltsamer, als es das ohnehin schon war. Als Colin mit seinen Schuhen durch den Staub schritt und die Musik aus der Ferne hörte, da hatte er das Gefühl, niemals wieder nach London gehen zu wollen. Es war nicht mehr sein Leben, das war es eigentlich nie gewesen. Es war nur eine Zuflucht gewesen, sein hausgemachtes Casablanca.
    Er musste an den Dialog denken, dieses kurze Gespräch zwischen Claude Rains und Humphrey Bogart.
    Weswegen sind Sie nach Casablanca gekommen?, fragt Bogart.
    Wegen der Heilquellen.
    Es gibt keine Heilquellen in Casablanca.
    Und Rains antwortet: Ich war falsch informiert.
    Warum war ihm das früher nie aufgefallen? Colin hatte den Film einige Male gesehen.
    Aus genau demselben Grund bin ich nach London gegangen.
    »Ich hätte dir das alles damals zeigen sollen«, sagte er zu Livia, die mit großen Augen durch diese schottische Westernwelt ging.
    Sie schaute nach vorn. »Jetzt sehe ich es ja.« Sie ging die Hauptstraße entlang, mit ihrem wippenden Gang, den er schon damals so gemocht hatte, weil er fröhlich aussah.
    Jetzt folgte er ihr.
    Wieder hier zu sein war mehr als nur seltsam.
    Rio Bravo selbst hatte sich nicht verändert.
    Es gab noch immer Blangsted's Stall, neben dem Hawks' Hotel stand, zwei klapprige Häuser weiter fand man Brackett's Store und Barnes' Saloon und die Praxis von Dr. Furthman, die allerdings, das hatten die Jungs damals herausgefunden, so gut wie nie besetzt war, weil Dr. Furthman, so hatten sie es sich erklärt, immer Hausbesuche bei den Ranchern der Umgebung machte.
    Weiter hinten erhob sich eine kleine Kirche aus dem Staub und den Gräsern, und daneben lag auch gleich der Friedhof, der wie eine helle Kopie des Galloway Graveyard aussah.
    Reverend Harlan war hier oft anzutreffen gewesen, damals.
    Die beiden Musiker, die früher immer auf der Bank neben dem Store gesessen und auf ihren Banjos gespielt hatten, als hinge ihr Leben davon ab, waren nicht mehr da. Dimitri und Ricky, ja, das waren ihre Namen gewesen, Colin erinnerte sich wieder.
    »Es ist kein Mensch hier«, stellte Livia fest.
    »Stimmt.« Das war es, was sich verändert hatte.
    Früher war Rio Bravo eine Stadt gewesen, in der das Leben gebrodelt hatte wie in der Kulisse

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