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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Hauptmann, mache ich einen Umweg um das Stadtviertel hinter dem Bahnhof rum, so daß ich über dem Röhricht, das auf beiden Seiten aus den fauligen Abwässern wächst, nur die Fernsehantennen und die Hütchen der Schornsteine sehe, das eine oder andere Dach und in der Ferne blau, hoch und verwischt die
Bäume des Parks: ich nehme an, daß die Ameisen vom Lieferwagen meine grauen Nichten und Neffen in irgendein Eingeborenendorf aus losen Brettern und Wellblech in Benfica oder Damaia mitgenommen haben, Sie kennen die ja, enge Gassen, ein unerträglicher Gestank, Katzen mit heraushängenden Gedärmen in Schlammpfützen, Hemdenlumpen in Plastikschüsseln, hysterische Radios, ich nehme an, daß kein Besteck, keine Socke, kein Foto, nicht einmal eine dieser Zeitschriftenseiten übrig ist, mit denen die Wäscheschubladen ausgelegt waren, ich nehme an, daß sie sogar die Wasserhähne, sogar die Türgriffe, sogar die Dusche abgeschraubt und mitgenommen haben, wahrscheinlich sogar die Düfte und die Erinnerungen und die einstigen Aromen meiner Kindheit, meinen Vater mit Schnurrbart im Unterhemd, der sich vor dem kleinen, an der Wand hängenden Spiegel im runden Rahmen kämmt, meine Mutter, die, zum Waschtrog hinuntergebeugt, Fische schuppt, Nächte undeutlicher Ängste und banger Schlaflosigkeit, erschreckende Gesichter, die meinen Schlaf bedrohten, sie haben bestimmt mein erstes Sperma im Bettuch mitgenommen, den Geist der greisen Tante, die ohne Unterlaß in einem Rollstuhl hustete, sie haben den Badewannenstöpsel, die heranwachsenden Hinterbacken meiner Schwester und die Gasknaller des Wasserboilers an die Zigeuner verkauft und noch mehr bunte Hemden, noch mehr scheußliche Sonnenbrillen, noch mehr Transistorbatterien, noch mehr Gürtel mit riesigen goldenen Schnallen gekauft, sie haben den Glasleuchter und den Infarkt meines Vater in den benachbarten Kneipen vertrunken, und so hatte ich plötzlich keine Vergangenheit, keine Familie, keinen Geburtstag, kein Geburtsdatum, keine Kindheit, keine fernen Winter, keine Schulfreunde mehr, Herr Hauptmann, war schwebend, durchscheinend, meiner fleischlichen Konsistenz und meines Gewichtes beraubt, mit meinen weißen Haaren und meinem augenblicklichen Alter ein schauerliches, runzliges, verbrauchtes Baby, das in einem verwüsteten Büro illusionslose Damesteine bewegte.

    – Du nimmst am späten Nachmittag das Schiff, riet die Concierge, klingelst, trittst einfach ein, gibst ihr ein oder zwei Ohrfeigen, was noch nie jemandem geschadet hat, falls notwendig, trittst du dem Hänfling ein paarmal in die Eier, und nach dieser Einführung setzt du dich ganz ruhig auf den besten Stuhl, den sie haben, und gibst dieser Schlampe acht Tage, um die Papiere beim Gericht einzureichen.
    – Der Typ mit dem Schnuller in der Faust, Mama Mama Mama Mama Mama, leckt mir die Ohren und den Hals ab, beißt mir in die Schultern, tatscht meine Titten ab, zieht am Gummi meiner Unterhosen, schleckt mich ganz ab, weidet grunzend die Blumen ab, die sich auf meinem Schoß ausbreiten, klagte die Assistentin des Zauberers, und ich insgeheim, mit meiner Weisheit am Ende, Herrjesu, ich bin geliefert, Herrjesu, wo bin ich bloß reingeraten, wann hört dieser verrückte Arsch endlich mit seinem Theater auf.
    – Wenn ihr mich nicht Uhu sein laßt, warnte kanzerös der Funker, während er den Bierschaum aus den leeren Gläsern schlürfte, komme ich nie wieder zu einem Bataillonsessen.
    Er schloß das Lager früher als sonst (seit fast einem Monat hatte er keine Aufträge bekommen, seit fast einem Monat keine Tour, so daß er ein paar abgewrackte Eckborde zu Schleuderpreisen verkaufen mußte, um dem Stummen sein Gehalt zu zahlen) und ging zu Fuß bis über den Martim-Moniz-Platz hinunter zum Terreiro do Paço, vom unvermeidlichen, behäbigen Strudel der Leute geschoben, die von der Arbeit in den Büros, den Gesellschaften, den Läden, den Konditoreien, den Tavernen kamen, Leute, Straßenbahnen, Autos, Lichter, fliegende Händler, Polizisten, Bettler, die gewohnte Landschaft, meine Herrschaften, die gewohnte Stadt, meine Herrschaften, die gewohnten Gesichter, ich wette, nicht einmal ein Erdbeben, nicht einmal zwanzig Erdbeben, meine Herrschaften, wird diese Scheiße einmal verändern, da waren, zweideutig, unausgewogen, schräg, der Martim-Moniz-Platz, auf dessen organgegetönten, rötlichen, grünlichen,
blauen Bürgersteigen, noch ungewiß, die ersten Huren und die ersten Zuhälter allmählich sprossen, der blasse

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