Fächergrün
hier haben sie aber bestimmt noch nicht gelesen. Könnte unser Glück sein.« Sein Handy meldete sich schon wieder.
»Die beiden stehen jetzt im Hauptbahnhof in der Schlange vor dem Reisezentrum. Einer von uns direkt dahinter.«
»Abwarten, wohin sie wollen«, meinte Lindt.
Vier Minuten später kam der nächste Anruf: »Zweimal Singen. Sie gehen gerade zum Bahnsteig. Die Schwarzwaldbahn fährt in zehn Minuten.«
»Singen ist Umsteigestation in die Schweiz. Zürich, Gotthard, Italien. Jede Wette, die wollen sich in die Heimat absetzen.«
»Also nehmen wir sie hopps?«, fragte Bauer, und Lindt stimmte zu: »Aber nicht festnehmen, nur zu einer wichtigen Zeugenaussage ins Präsidium holen.«
Die vier Beamten der Abteilung für Organisierte Kriminalität leisteten ganze Arbeit. Bevor die beiden grauhaarigen Italiener auf Gleis 6 des Karlsruher Hauptbahnhofes die roten Panorama-Doppelstockwagen der Schwarzwaldbahn Karlsruhe–Konstanz besteigen konnten, wurden sie freundlich, aber bestimmt gebeten, die Abfahrt für eine Weile zu verschieben. Giuseppe und Carlo Gallo durften in verschiedenen Wagen mitfahren und auch im Präsidium in getrennten Verhörzimmern Platz nehmen.
»Ach, Sie stecken dahinter«, sagte Giuseppe, als er Oskar Lindt wiedererkannte. »Ich habe Ihnen doch letzte Woche im Treppenhaus schon alles erzählt.«
»Tut mir wirklich leid wegen der verpatzten Reise, aber wir brauchen dringend einige Angaben von Ihnen. Wo sollte es denn hingehen? In die Heimat?«
Gallo nickte. »In Karlsruhe wohnen wir, aber in Italia wohnt unser Herz. Wir wollen hin wegen unserer Schwester Carmina. Der geht es nicht gut.«
»Ja, ja, die Familie. Ist Ihre Schwägerin auch unten?«
»Schon seit drei Wochen. Wir wollen dann zusammen wieder zurückfahren.«
Lindt entschied sich für Frontalangriff. Er schoss in die Höhe, beugte sich blitzschnell über den Tisch, sodass sich seine und Gallos Nase fast berührten, und zischte: » Calabrone! «
Erschrocken wich der Italiener zurück, doch Lindt hatte die Bewegung seiner Pupillen bemerkt. Nur den Bruchteil einer Sekunde lang, aber es war da gewesen, das Flackern. Der Kommissar hatte es gesehen und es reichte ihm. »Wie haben Sie sie umgebracht?«
Gallo war erstarrt, deshalb dauerte es einen Tick zu lange, bis er stammelte: »Was … ich?«
»Ja, genau, Sie, wer sonst? Waren Ihre Brüder auch dabei?«
»Wobei?«
»Jeder hinterlässt Spuren. Manche kann man erst auswerten, wenn die Technik neue Entwicklungen gemacht hat. Heute sind wir so weit.«
Gallo brachte den Mund vor Entsetzen nicht mehr zu.
»Sie haben die Frau nur weggeschafft, stimmt’s?« Lindt beugte sich immer noch über den Tisch. Er sprach leise, aber scharf, messerscharf. »Oder haben Sie sie erstochen? Mit ihrem eigenen Stilett? Direkt ins Herz? Zack, Herzstillstand, Ende!«
Der Kommissar packte den Tisch, hob ihn blitzschnell hoch und ließ ihn wieder zurück auf den Boden knallen. »Wer war es? Sie? Carlo? Oder Vittorio? Ist er deswegen untergetaucht?«
»Wir wissen nicht, wo …«, stammelte Giuseppe Gallo und seine Augen traten immer mehr aus ihren Höhlen.
»Tun Sie nicht so unschuldig! Raus mit der Sprache!«
Der Italiener sank in sich zusammen.
»Unsere Technik braucht höchstens noch drei Stunden.« Lindt war mit drei Schritten an der Tür. »Speichelprobe!«, rief er hinaus und ließ sich zurück auf den Stuhl fallen. »Ihr Bruder hat schon eine abgegeben.«
Sichtbare Panik ergriff Giuseppe Gallo. »Bitte, ich weiß wirklich nicht …« Weiter kam er nicht, denn Jan Sternberg trat ein, mit einem Probenröhrchen bewaffnet.
Lindt hob die Hand. »Warte noch!« Dann sah er Gallo an: »Wir können auch darauf verzichten.«
Der Angesprochene antwortete nicht. Sein Gesicht wurde plötzlich kalkweiß. Schweiß trat auf die Stirn. Dicke Tropfen. Die Augen verdrehten sich. Lindt sah nur noch das Weiße. Daraufhin sackte Gallo in seinem Stuhl zusammen. Die Arme hingen schlaff herunter.
Sternberg war mit einem Satz bei ihm, fasste an den Hals. »Puls ist da.«
»Hol den Liegestuhl aus meinem Büro.«
Der Italiener riss die Augen wieder auf, bewegte die Lippen, tonlos.
»Ist Ihnen nicht gut? Wollen Sie sich hinlegen?«
Sternberg kam zurück und schlug die Liege auf.
»Bitte«, sagte Lindt. »Sie dürfen.«
Gallo reagierte nicht. Er klappte die Augen wieder zu und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
»Wieso soll ich?«
»Wer sonst?«, antwortete der Kommissar. »Wer sonst, sagen Sie
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