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Fächerkalt

Fächerkalt

Titel: Fächerkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Leix
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das
fürchterliche Schwitzen bei sommerlichen Temperaturen störten ihn kolossal. Doch
Oskar Lindt wusste nicht, wie er seinen Heißhunger in den Griff bekommen könnte.
Er hatte das Gefühl, als sei dieses Verhalten nicht seinem freien Willen unterworfen.
Und sich helfen zu lassen, etwa von so einer spindeldürren Ernährungsberaterin,
die keine Ahnung hatte, wie cremig der 60-prozentige französische Rohmilch-Brie
schmeckte, oder von einer genussfeindlichen Körner-Tussi, die eine Thüringer Bratwurst
nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde, nein, so weit war er noch lange nicht.
    Zu allem
Überfluss sendete das ZDF nach dem heute-journal einen Beitrag, den Carla unbedingt
mit ihm zusammen ansehen wollte: ›Deutschland wird immer dicker‹.
    Bereits
nach fünf Minuten klappten Lindts Augendeckel zu. Seine Erschöpfung bewahrte ihn
vor der grausamen Sendung.
     
    Als er wieder zu sich kam, war es
3.25 Uhr. Der Fernseher war längst abgestellt und Carla hatte sich frustriert schlafen
gelegt, nicht ohne zuvor eine weiche Wolldecke über dem leise schnarchenden Kommissar
auszubreiten.
    Lindt war
hellwach. Er rieb sich die Augen. Weiterschlafen? Hier auf dem Sofa? Nein, nicht
besonders bequem. Zu Carla ins Schlafzimmer? Auch nicht, er wollte sie auf keinen
Fall stören. Außerdem wachte er seit einigen Jahren recht häufig so früh auf und
wälzte sich stundenlang schlaflos von einer Seite auf die andere.
    »Glasklar,
Oskar: präsenile Bettflucht«, war der Kommentar von Ludwig Willms gewesen. »Wenn
man so langsam auf die Pensionierung zusteuert, sollte man sich etwas mehr um seine
Gesundheit kümmern. Sieh mich an: Ein kleiner Lauf am Abend und ich schlafe wie
ein Stein.«
    »Was bezeichnest
du als kleinen Lauf?«
    »Zehn Kilometer,
mindestens!«
    »So was
ist für mich eine Tageswanderung!«, hatte Lindt sich umgedreht und war davongestapft.
     
    Jetzt entschied sich Oskar Lindt
ziemlich schnell dafür, nach draußen zu gehen. Aus dem Wagen holte er eine handliche
Taschenlampe und machte sich auf den Weg. Keine Ahnung, wohin er wollte, kein Ziel,
einfach nur umhergehen. Vielleicht rüber in den Hardtwald? Oder nein, doch lieber
in der Waldstadt bleiben, wo ab und zu eine Straßenlampe mattes Licht spendete.
    Er könnte
natürlich auch nach Knielingen … Nein, schnell verwarf er diesen Gedanken. In einer
mondlosen Nacht allein in diesem kalten, unbarmherzigen Hof, Auge in Auge mit einer
ausgebaggerten Jauchegrube, in der die Menschenknochen dicht an dicht gelegen hatten
– nein, Lindt war zwar nicht gerade ein Angsthase, doch das musste er sich nicht
antun.
    Mit langen
Schritten, sehr gemächlich, wanderte er die Straßen in der Waldstadt entlang.
    Elbinger
Straße, Insterburger Straße, Königsberger Straße – fast alle nach Städten in den
ehemaligen deutschen Ostgebieten benannt. Viele Vertriebene und DDR-Übersiedler
waren unter den ersten Bewohner des in den 1950er-Jahren erbauten Stadtteils gewesen.
Ein großes Stück Hardtwald war gerodet worden, um genügend Wohnraum zu schaffen.
    Mittlerweile
hatte sich die Bevölkerungsstruktur natürlich gewandelt. Seit einigen Jahren war
die Karlsruher Waldstadt auch zur Heimat von Carla und Oskar Lindt geworden – die
drei Töchter ausgeflogen, die Wohnung in der Oststadt zu groß.
    Eine große
Zahl von Waldbäumen hatte man bei der damaligen Rodung stehen lassen. Der ursprüngliche
Gedanke war sogar gewesen, dass kein Dach die Bäume überragen sollte – mit dem Bau
einiger Hochhäuser war von dieser Idee allerdings nichts mehr übrig geblieben. Doch
auch in der heutigen Zeit lockern noch Streifen von schatten- und sauerstoffspendenden
Kiefern, Eichen und Roteichen die Wohnbebauung auf.
    Nun, Ende
Oktober, hatte der Laubfall gerade richtig begonnen. Auf seiner nächtlichen Wanderung
hörte Lindt deshalb überall Geräusche. Fallende Blätter, wenn ein leichter Windstoß
die Äste durchstreifte. Mäuse und Igel, die in den Laubhaufen nach Essbarem stöberten.
Da, ein Huschen! Katze? Nein! Ein langes, dunkles Tier mit hellem Kehlfleck kam
unter einem Auto hervor, flitzte über die Straße und verschwand unter dem nächsten
Wagen. Klar, ein Marder. Ein Automarder, dachte der Kommissar, eine neue Tierart.
»Lass dich bloß nicht an meinen Zündkabeln erwischen«, rief ihm Oskar Lindt halblaut
nach und klatschte in die Hände.
    Erstaunlich,
dachte er. Eine dunkle Herbstnacht und es geht Richtung Winter. Aber hier ist mir
längst nicht so kalt, wie auf dem Gehöft

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