Fächertraum
Chef«, witzelte Sternberg und bearbeitete die Tastatur seines PC s.
Oskar Lindt verzog sich in sein Büro. Erst fasste er die neuen Erkenntnisse zusammen, dann kontaktierte er Ludwig Willms – › DNA -Ergebnisse müssten bald kommen‹ –, und endlich zündete er sich eine Pfeife an, um den dicken Aktenordner über die insolvente KARMAG intensiv durchzusehen.
Selbst die Zeitungsartikel vom Niedergang der Maschinenfabrik waren penibel abgeheftet – dramatische Berichte über das Schicksal verschiedener Mitarbeiter.
Über Tausende von Überstunden – nicht vergütet.
Über Gehaltszahlungen – seit Monaten ausstehend.
Über Beiträge zur Sozialversicherung – nicht abgeführt.
Über Gelder der betrieblichen Altersversorgung – spurlos verschwunden.
Über Familienväter, die jetzt schlagartig auf der Straße standen, wenig Aussicht auf neue Stellen hatten und nicht wussten, wie sie die Raten für die ohnehin knapp kalkulierte Finanzierung ihrer Eigenheime aufbringen sollten.
Über dramatische Szenen bei einer Betriebsversammlung, die Jordan eiligst und unter Geleitschutz des Werksschutzes verlassen hatte, um nicht verprügelt zu werden.
Am meisten zu denken gab dem Kommissar aber das Protokoll über die Vernehmung dreier Betriebsräte, die dem Geschäftsführer vorwarfen, gezielt Geld aus der Firma gezogen und so den Bankrott absichtlich herbeigeführt zu haben.
Wochenlang war die Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen unter der Leitung von Hauptkommissar Karl-Friedrich Birk den Anschuldigungen nachgegangen, doch in dieser Hinsicht war die Buchhaltung der KARMAG sauber, nahezu klinisch rein. Deshalb hatten sie Jordan auch nicht festhalten können.
›Ob die Maschinen tatsächlich seit Jahren viel zu billig verkauft worden sind, ist strittig. Dieser Sachverhalt kann nicht näher aufgehellt werden‹, stand als Schlusssatz unter dem Bericht der Staatsanwaltschaft.
Die Indizien reichten nicht für eine Untersuchungshaft – nichts Neues für Lindt. Seine Erfolgsbilanz war zwar deutlich höher als die der Kollegen von der Wirtschaft, aber einige Male hätte auch er ohne den berühmten Kommissar Zufall ergebnislos abschließen müssen.
Paul Wellmann schaute zur Tür herein. »Oskar, wir verbeißen uns zu sehr in diesen untergetauchten Fabrikanten. Eigentlich haben wir doch zwei tote Zigarettenschmuggler. Oder denkst du, der Jordan hatte seine Finger auch dabei mit drin?«
Lindt ließ sich nicht beirren: »Ostkontakte, Paul – und sein Fingerabdruck.«
»Nur weil dein Großvater sein ganzes Leben lang in dieser Fabrik geschuftet hat.« Wellmann wandte sich zum Gehen.
»Paul«, rief Lindt ihm nach, »du weißt doch, was wir suchen.«
»Ja, ja, schon recht. Die Wahrheit natürlich, wie immer.«
14
»Die Wahrheit«, sagte der Kommissar am Abend zu Carla, »ist sie das, was das Auge sieht?« Er stand am Küchentresen und putzte mit einem kleinen scharfen Schälmesserchen frische Champignons.
Seine Frau schaute ihn irritiert an. »Sprichst du mit mir oder mit den Pilzen?«
»Das kannst du dir aussuchen«, murmelte er gedankenverloren und schnippelte in Zeitlupe weiter.
»Wenn du in dem Tempo weitermachst, bekommen wir heute ein Mitternachtsmenü«, schüttelte sie den Kopf und schob ihm zwei Knoblauchzehen und eine Zwiebel hin.
»Nein, jetzt denk doch mal nach.« Er griff in die Schüssel mit den noch ungeputzten Pilzen und hielt ihr ein besonders großes Exemplar unter die Nase. »Was unterscheidet zum Beispiel diesen tollen Champignon von einem Knollenblätterpilz?«
»Wieso fragst du das denn? Traust du mir nicht mehr?« Carla runzelte empört die Stirn: »Denkst du etwa, ich wollte dich …? Die sind ganz frisch vom Markt, aus Biozucht natürlich.«
»Von da, wo du sie immer kaufst, das weiß ich doch. Aber überleg trotzdem mal. Nur rein theoretisch: Zwei ganz ähnliche Pilze, der eine superlecker, der andere wäre unser letzter, und der Unterschied ist eben genau das, was unser Auge nicht sieht, nämlich … na?«
»Ja«, sagte sie zögernd, »die Knolle halt.«
»Genau! Und wo ist die Knolle? Kannst du sie entdecken?«
»Nein, die ist abgeschnitt…« Carla verstummte.
»Eben!«
Ihre Empörung kam wieder: »Ich glaube, du spinnst, Oskar. Wieso sollte genau dieser Biobauer, bei dem ich jede Woche einkaufe, uns so was unterschmuggeln? Was sollte der für einen Grund dafür haben?«
Lindt lächelte: »Jetzt fängst du auch schon an, die offensichtlichen Dinge zu hinterfragen. Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher