Fächertraum
wir nicht werden, sonst macht die Konkurrenz das Geschäft.«
»Ist es üblich, dass Anwälte die Verträge ausarbeiten?«
»Klar doch, bei Auslandsverkäufen sowieso. Und was die dabei verdienen, Oskar, da schlackerst du mit den Ohren. Honorar nach Auftragswert. Von solchen Zahlen können wir beide nicht mal träumen.«
»Monatlich?«
»20.000 sind da noch gar nichts. Ist aber normal bei Wirtschaftsjuristen.«
»Dann hab ich meinen Töchtern wohl die falschen Studienfächer empfohlen«, kratzte sich Lindt am Hinterkopf.
»Du denkst, diese beiden jungen Anwälte wären irgendwie in deinen Fall verstrickt?«
»Zumindest waren sie noch vor mir im Verhörraum.«
»Das ist allerdings ungewöhnlich, denn bei Strafprozessen springt für die Herren Advokaten sehr viel weniger heraus als in ihrem eigentlichen Arbeitsbereich.«
»Vor allem kann ich mir nicht vorstellen, wie sich unsere zwei Verdächtigen so teure Anwälte überhaupt leisten können.«
»Frag sie doch! Dabei wünsche ich dir jetzt schon viel Vergnügen.«
Kopfschüttelnd zog Oskar Lindt wieder ab.
Nicht zu Paul und Jan, sondern erneut nach draußen. Die Beiertheimer Allee hinunter Richtung Hauptbahnhof. Pfeife im Mund, Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Gedanken kommen und gehen. Die besten kommen beim Gehen.
Durchsuchung der Anwaltskanzlei auf einen derart vagen Verdacht hin? Kein Richter der Welt würde das genehmigen.
Zeugen, hatte der Kurze gesagt. Zeugen mussten her. Zeugen, die etwas gesehen hatten. So wie Nico Stupic?
Vielleicht war der bosnische Student einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Will ein paar Stangen Jin Ling aus dem Erdbunker holen. Dabei beobachtet er, wie Jordan an den Baum gefesselt ist und traktiert wird. Leider wird er entdeckt. Knall – Kopfschuss. Das Ende eines Zeugen. Methoden der NVA -Sondereinheit?
Johann Guth? Ein weiterer Zeuge, der aus dem Weg geräumt werden musste?
Was war mit Jordan? Wie lange hatte er in der Montagegrube gehockt? Sicherlich gefesselt und geknebelt. Bis Gabriel und Heid ihr Geld hatten? Tatsächlich? Woher? Wie viel?
Konnte Jordan wirklich große Beträge aus dem Unternehmen abzweigen? Mithilfe der beiden Anwälte? Wie hätte das funktionieren sollen?
Wo war Jordan jetzt? War er ebenfalls liquidiert worden? Verscharrt im Hardtwald? Oder lebte er noch? Leben gegen Geld? Abgesetzt? Flugticket gegen Geld? Florida? Trotz internationaler Fahndung bisher kein Ergebnis.
Was nützt die beste Theorie, wenn sie nicht zu beweisen ist? Wer wird uns etwas vor dem Karlsruher Landgericht bezeugen?, grübelte Oskar Lindt, starrte auf die grauen Platten des Gehwegs und stiefelte weiter durch das vorweihnachtliche Karlsruhe.
Auf den Zufall warten? Auf einen Fehler von Gabriel oder Heid? Gibt es eine Schwachstelle? Und wenn ja, wo?
Oder sind die beiden wirklich nur ganz normale biedere bedauernswerte Familienväter, die ihre Arbeit verloren haben, so wie Hunderte andere auch?
Der Hauptbahnhof, ein idealer Ort, um ›Leute zu schauen‹. Menschenmassen wälzen sich hindurch. Nach draußen zu den Straßenbahnen, nach hinten zu den Gleisen.
Lindt klopfte seine Pfeife aus, kaufte Zeitung, Brezel, Milchkaffee und lehnte sich neben einem Stehtisch an die Wand.
Mechanisch brach er ab und zu ein Stück von seiner Brezel oder nahm einen Schluck aus der Tasse. Seine Augen waren auf die Menschenflut gerichtet, aber in Wirklichkeit nahm er die Leute gar nicht wahr. Er starrte ins Leere und sah genau so viel wie mit geschlossenen Lidern, nämlich nichts. Oskar Lindt blickte nach innen.
Plötzlich kam eine junge Frau auf ihn zu. Blond, vielleicht Mitte, Ende 30, der Pferdeschwanz machte sie noch jünger. Lindt kannte das Gesicht, aber woher? So sehr er auch überlegte, es fiel ihm nicht ein. Zu ihren Jeans trug sie die hohen Stiefel der aktuellen Mode, oben eine taillenbetonte schwarze Jacke in extravagantem Schnitt, einen Alu-Trolley zog sie hinter sich her.
Die Frau ging an ihm vorbei, schaute in sein Gesicht. Der Ausdruck ihrer Augen war eindeutig. Sie hatte ihn erkannt, aber er sie nicht. Automatisch folgten ihr seine Blicke. Sie ging weiter zu den Gleisen, drehte sich nochmals um. Hob sie ihre Hand, um zu winken?
Natürlich, das war doch … Lindt fuhr zusammen, kam wieder zu sich. Starrte nach links. Nein, da war sie nicht. Nicht mehr? Er kniff die Augen ein paarmal heftig zusammen. Einbildung! Ein Tagtraum, hier zwischen all den Menschen? Mit offenen Augen … Nur ein kurzer
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