Fänger, gefangen: Roman
alles.«
Ich muss ihn zweimal ansehen, um sicherzugehen, dass das kein Scherz sein soll. »Äh, Mack ... meinst du nicht, dass die Polizei es weniger verdächtig findet, wenn du genauso schnell fährst wie die anderen auch?«
»Tut mir leid.« Er tritt aufs Gas, und der kleine Truck beschleunigt auf der unbeleuchteten Straße so sehr, dass mir die Hüftknochen in die Eingeweide drücken.
»Mist, ey! Wollte dich doch nicht anpissen.«
»Nicht angepisst, nicht angepisst.«
Er verlangsamt auf die Höchstgeschwindigkeit, sucht einen Rap-Sender, grinst zu mir rüber und fängt an, mit einer Hand aufs Lenkrad zu trommeln. »Sie ist großartig, oder?«
»Wer?«
»Die Karre«, antwortet Mack. »Wer sonst?« Seine Augen glänzen, und er lässt die Hände mit jedem Basswummern vom Lenkrad abfedern. Es macht mich nervös, auch wenn er das letzte Mal am Telefon beteuert hat, dass er keine Drogen mehr nimmt.
»Vielleicht Juliann?«, frage ich. »Deine Freundin Juliann? Erinnerst du dich an sie?«
»Das ist vorbei«, sagt Mack. »Schon lange.« Für diesen Text klingt seine Stimme viel zu angespannt und viel zu hoch, so als hätte er gerade zugegeben, bei einer Prüfung gemogelt zu haben.
»Was ist passiert?«
»Es klappt eben nicht bei jedem so gut«, sagt Mack, »wie bei dir und Meredith. Und sie war sowieso zu groß für mich.«
»Seit wann ist die Größe ein Grund, die perfekte Frau ziehen zu lassen?«
»Ich würde nicht sagen«, meint Mack, »dass sie die perfekte Frau war. Sie war mir ein bisschen zu prüde.«
Ich denke eine Weile darüber nach. Hier ist Mack, der Mack, den ich kenne: fast so was wie ein Musterschüler, bei den Lehrern beliebt, geht mit der Familie noch zum Gottesdienst und hat einen festen Nebenjob, um seine Autoversicherung zu zahlen. Ein netter, beständiger Typ – und dann macht er mit einem Mädchen Schluss, weil sie zu groß für ihn ist? Irgendetwas passt da nicht. Außerdem hat Meredith nichts davon gesagt, dass Mack mit Juliann Schluss gemacht hätte. Warum denkt er das dann? Warum sagt er so was?
Er ist ein guter Fahrer, auch wenn er sich über Juliann ärgert, auch wenn er die Kurven und Schatten der Route 17 in sternenloser Nacht mit fast hundert Stundenkilometern durchfährt. Weil die 17 extrem viele Kurven hat, bin ich lieber still, damit er sich konzentrieren kann. Der Wagen bleibt in der Spur, es gibt keine ruckartigen Lenkbewegungen oder unerwartetes Bremsen. Das beruhigt mich ein bisschen. Wenn er so gut fährt, kann er nicht high sein. Ich habe ihm meine Meinung zu Drogen gesagt, und heute Nacht ist nicht der richtige Zeitpunkt, die Diskussion wieder aufzunehmen.
Was, wenn Mom aufwacht und entdeckt, dass ich nicht im Bett liege? Sie wird lauschen, ob ich die Toilettenspülung betätige. Sie wird sich draußen vor die Tür stellen und anklopfen, vielleicht zwei Mal, bevor sie aufmacht, wenn ich nicht antworte. Wenn sie sieht, dass ich nicht da bin, wird sie einmal ums Deck rennen und dann aufs Dach. Sie wird meinen Namen rufen, erst leise, um Nick nicht zu wecken, bis ihr einfällt, dass er bei einem Freund übernachtet. Wenn sie mich nicht findet, wird sie anfangen zu schreien. Dad, mit leicht verschleimtem Hals, weil er aus dem Schlaf gerissen wurde, wird barfuß nach draußen gehen, während Mom feststellt, dass das Ruderboot weg ist. Sie wird mit dem Motorboot schon halb am Anleger sein, bevor Dad begreift, was sie da die ganze Zeit brüllt. Er wird sofort wissen, dass ich für immer weggegangen bin, aber er wird sie weiterfahren und suchen lassen, weil es für sie die einzige Möglichkeit ist, damit klarzukommen. Sie braucht Aktionen und Argumente, um vor allem sich selbst zu beweisen,dass sie immer noch versucht, ihren Sohn vor etwas zu retten, das stärker ist als sie.
»Danke, dass du mich fährst«, sage ich zu Mack. Auf keinen Fall will ich die Zwillinge noch mal erwähnen.
»Kein Problem«, erwidert er. »Ich hoffe, der Zug hat keine Verspätung. Wenn deine Mom die Polizei ruft, könnte ihnen einfallen, die Bahnhöfe zu kontrollieren.«
»Sie wird nicht die Polizei rufen«, sage ich. »Seit der Verhandlung sind das die Bösen.«
»Hättest du letztes Jahr noch gedacht«, fragt Mack, »dass du mal allein nach New York fahren würdest?«
»Nie im Leben«, antworte ich. »Hättest du je gedacht, dass du mal einen blauen Nissan fährst, der dir gehört?«
Wir spielen dieses Spiel seit Jahren. Hollywoodfantasien auf Essex-County-Niveau. Es hat immer Spaß
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