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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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nicht in Moms – und ihm sagen, er solle Meredith in der Kabine schlafen lassen, wenn sie darum bittet. Ohne nachzufragen oder Theater zu machen. Esergibtkeinen Sinn, Mom wegen Sachen zu beunruhigen, die sie nicht weiß.
    Keinen Sinn, keinen Sinn.
Die Worte hallen durch meinen Kopf, während ich zum Ruderboot schleiche, den Rollkoffer im Arm wie ein Baby. Nachdem ich ihn ganz vorn verstaut hab, damit er nicht nassgespritzt wird, löse ich die Leinen und lasse das kleine Boot vom großen wegtreiben. Die Riemen tauchen ins Wasser. Silberne Tröpfchen glitzern auf der Oberfläche, die nur einen kurzen Moment lang blau ist, wenn die Sonne anfängt aufzugehen. Als ich am Ufer ankomme, ist das Wasser schon wieder braun.

20
    Mack sollte auf der hinteren Seite von St. Margaret’s im blauen Truck auf mich warten, ohne Licht und mit ausgeschaltetem Motor. Wir haben das mehrmals besprochen. Wie damals, in den Sommern am aufgelösten Yachthafen, ist es gut, Mack wieder als Komplizen zu haben. Wir haben ein Geheimnis, mit geflüsterten Hinweisen und versteckten Vorräten – selbst wenn das Ende nicht so unvorhersehbar ist wie in unseren Abenteuern früher. Alle außer Mack sind zu Nannys geworden. Ich bin so müde und so bereit, dass endlich alles vorbei ist, auf welchem Weg auch immer.
    Die kleine Anhöhe zwischen dem Creek und dem Jeanette Drive wirft mich im Zeitplan zurück. Die Stiefel waren ein Fehler, sie hängen wie Blei an meinen Streichholzbeinen. Wo, ja wo sind meine Schwimmmuskeln hin? Ich presse die Finger auf mein Brustbein, das laut Biobuch Sternum heißt. Einer dieser blöden Lungenflecken muss da hängen geblieben sein und diesen Schmerz auslösen, so tief drin, dass meine Finger ihn nicht erreichen. Ich keuche und ringe nach Luft und muss mich setzen, noch ehe ich am Schulgebäude angekommen bin, da, wo Meredith mir eröffnet hat, dass sie jetzt die Pille nimmt. Ich denke daran, dass ich nie wieder mit ihr schlafen werde, nie wieder die flache Stelle neben ihrer Hüfte berühren werde, auf der das Mondlicht lag, das durch das Kabinenfenster schien ... oder ihre warmen Mundwinkel, wo ich die Reste ihres Lippenbalsams geschmeckt habe ... oder die perfekten Zwischenräume zwischen ihren Fingern, wenn sie ihre Hand beim Spazierengehen mit meiner verschränkt.
    Hinter der offenen Wiese neben dem Verwaltungsgebäude, durch die Kräuselmyrtensträucher hindurch, blitzen Macks Scheinwerfer einmalkurz auf. Ein Zeichen. Es wird Zeit. Mein erster Freund, mein letzter Freund erinnert mich daran, den Plan einzuhalten.
    Ich stehe wieder auf und winke im Nachhall seines Lichts. Schwer und nutzlos fällt mein Arm wieder runter. Dass ich Meredith den Hoskins Creek stromaufwärts gerudert habe, erscheint mir wie ein Märchen. Der kleine Koffer rumpelt über den Bürgersteig, eine holprige Hymne, die die Nacht verschluckt. Ich zwinge mich, ohne weiteren Stopp zum Truck zu gehen. Mack steigt schon vorher aus, nimmt mir den Koffer ab und hebt ihn auf die kleine Ladefläche, als wäre er aus Glas. Er hievt mich an meinen Ellbogen hoch in die Fahrerkabine und schlägt die Tür zu, als wär ich seine Großmutter. Dann läuft er zur Fahrerseite. Als er die Water Lane entlangfährt und langsam und vorsichtig auf die Route 360 abbiegt, als hätte er gerade erst Fahren gelernt, werfe ich einen Blick zurück. Die Brücke erhebt sich undeutlich aus dem frühen Morgennebel. Dann, an der Ecke, wo die 360 auf die Route 17 mündet, holen mich die grellen Lichter der durchgehend geöffneten Texaco-Tankstelle in die Realität zurück.
    »Wie lief es mit Meredith?«, will er wissen.
    »Sie musste Hausaufgaben machen.«
    »Du gehst, ohne dich verabschiedet zu haben?«
    »Sie würde es sowieso nicht verstehen«, sage ich. »Sie würde denken, es hätte was mit ihr zu tun.«
    »Scheiße, bist du ein kalter Hund!«
    »Tja, so ist das eben, wenn man stirbt.« Daraufhin hält er die Klappe.
    Er schaltete das Radio ein und konzentriert sich auf die Straße. Gemächlich fahren wir an den Kirchen vorbei, an der Goldküste, dem Golfplatz in Woodside, dem Schnellrestaurant in Port Royal mit der im Fünfzigerjahrestil gestreiften Markise, dann durch Spotsylvania County.
    »Bist du müde?«, frage ich ihn, aber die Worte bleiben in meinem Mund hängen und ich muss schwer atmen, um sie rauszukriegen.
    »Mir geht’s gut«, antwortet Mack. »Ich will nur nicht, dass die Polizei uns anhält. Ich meine, wo Holden doch in New York auf dich wartet und

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