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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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wie sich mein Blut in Fontänen auf die weiß gestärkten Tischdecken ergießt. Sie umringen mich und reden in mindestens vier Sprachen auf mich ein. Ich bekomme Eis im Plastikbeutel aufs Gesicht gedrückt, werde zu einem Lastenaufzug gebracht und in einer finsterenSeitengasse nach draußen verfrachtet. Überall stehen Mülltonnen, und drei Männer in zerlumpten Kleidern sitzen in einer Ecke und nuckeln an Papiertüten. Holden, wo bist du?
    Ich klammere mich an das Geländer der Feuertreppe und versuche, den Kopf zurückzulegen, um die Blutung zu stoppen, da stehen zwei der Penner auf und kommen auf mich zugewankt. Brauner Matsch oder Schlimmeres tropft von ihren Lumpen, und an ihren Ärmeln hängen Fäden mit braunen Klumpen daran.
    »Haste dich verlaufen, Junge?« Der größere Mann spricht schleppend und mustert mich eingehend.
    Der dritte Mann, der noch auf dem Boden sitzt, ruft: »Fass ’n nich’ an, der is’ vielleich’ ansteckend.«
    »Du kannst uns deine Brieftasche geben, oder wir holen sie uns«, schreit der Erste plötzlich los. Die Worte, vermischt mit Spucke und Keimen, prallen auf mein Trommelfell. Ich bin froh, dass Mom nicht hier ist. Sie würde erschaudern.
    Er schiebt seinen Kopf bis auf wenige Zentimeter an mich ran, so dicht, dass ich die Venen auf seinem Augapfel sehen kann, wie die Nähte auf einem Baseball. Blut tropft an der Seite des Eisbeutels runter. Mein Blut. Es tropft dem Typen auf die Schuhe. Er scheint nichts zu merken, und ich denke nur, wie gut, dass er betrunken ist. Wie schwer kann er mich verletzen, wenn er betrunken ist?
    Als ich wieder zu mir komme, liege ich in einem schmalen weißen Abteil mit Vorhängen an beiden Seiten. An der Fußseite ist es offen, und ich sehe einen Warteraum voller Stühle. Er ist übervoll mit Menschen, die aussehen, als wären sie mit den Lumpentypen aus der Gasse verwandt. Ich liege auf einer fahrbaren Trage, und neben mir ist eine Schwester in weißer Uniform mit leuchtend orangefarbenem Haar und einer Reihe Ohrstecker, die im Licht der Leuchtstoffröhre funkeln. Nachdem sie meinen Puls und Blutdruck gemessen hat, das Übliche halt, und alles auf einem Klemmbrett notiert hat, piekst sie mich ohne Vorwarnung in den Finger.
    »Autsch.«
    »Das hättest du dir überlegen sollen«, sagt die Orangefarbene, »bevor du umgekippt bist, Junge.«
    Stumm beobachten wir beide, wie sich die schmale Röhre mit Blut füllt.
    »Schon mal anämisch gewesen?«, fragt sie, während sie meinen Ärmel hochrollt und auf die Innenseite meines Ellbogens starrt.
    »Ich glaube nicht.«
    »Clean«, sagt sie zu niemand Bestimmtem.
    Sie sieht durch mich hindurch, und ich warte schon darauf, dass sie die Flecken auf meiner Lunge mit bloßen Augen erkennt.
    »Bist du achtzehn?«, will sie wissen.
    »Ich bin nicht blöd«, erwidere ich. »Ich weiß, dass Sie mich nicht behandeln dürfen, wenn ich nicht volljährig bin.«
    »Wenn du bereits der Meinung bist«, sagt sie, »dass du behandelt werden musst, dann erzählst du mir jetzt besser, was mit dir los ist. Auf deinem Aufnahmebogen steht als Adresse
Edmont Hotel.
Soweit ich weiß, haben sie das vor ein paar Jahren abgerissen.« Sie legt den Kopf schief, holt einen Metallstuhl aus dem Nachbarabteil, zieht den Vorhang ganz zu und setzt sich hin, als wollte sie ganz locker mit ihrer Freundin quatschen. »Also ... was ist los, Junge? Kein Ausweis. Überall Blut. Tripper? Crack? Du siehst halb tot aus.«
    »
Wow!
Wirklich beeindruckend«, sage ich. »Das haben Sie gleich beim ersten Mal richtig geraten.«
    Sie stemmt beide Füßen gleichzeitig auf den Boden, beugt sich vor und fixiert mich. »Okay, du Superclown«, sagt sie. »Das ist nicht lustig. Wo zum Teufel sind deine Eltern? Wenn du stirbst, dann sollten sie hier sein.« Sie streckt die Hand nach dem Vorhang aus.
    »Bitte, warten Sie. Lassen Sie es mich erklären.«
    »Ich bin ganz Ohr«, meint sie. »Und ich hab schon ’ne Menge gehört. Du kannst mich nicht schockieren.«
    »Leukämie. Fast ein Jahr.«
    »Lass mich raten«, erwidert sie. »Chemo und Bestrahlung haben die Sache erst aufgehalten, aber jetzt fühlst du dich wieder beschissen. Und hast Runde zwei geschwänzt ...«
    »Keine Chemo, keine Bestrahlung«, sage ich. »Meine Mutter war mit mir in Mexiko.« Ich kann nicht glauben, dass die Worte einfach so aus mir rauskommen, sich regelrecht darum reißen, ausgesprochen zu werden, in diesem Krankenabteil, vor dieser Frau – eigentlich einem Mädchen –, die mich

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