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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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haben mein Bett hinter einem halb zugezogenen Vorhang versteckt, grün diesmal statt weiß. Der Vorhang irritiert mich, weil es schwer zu glauben ist, dass sie jemand so Kranken wie mich, mit diesem megafiesen Überangebot an weißen Blutkörperchen, zu einem anderen Patienten ins Zimmer stecken. Aber ich kann den anderen in langen röchelnden Zügen atmen hören. So wie es in seinem Hals rasselt, ist es gut, dass er auf der anderen Seite des Vorhangs liegt.
    Es überrascht nicht, dass im Krankenzimmer kein Spiegel hängt. Vor dem Panoramafenster flackern die Lichter von New York wie die Kerzen auf der unterirdischen Orgel des Phantoms der Oper. Ich frage mich, wie weit es von hier bis runter zur Straße ist. In ganz Essex County gibt es nichts, das so hoch ist.
    »Wie lange, haben die gesagt, dauert es, bis Ergebnisse vorliegen?« Das ist Moms Stimme, zur Tür gerichtet, die einzige solide Lichtquelle in diesem Schummerzimmer.
    »Das ist ein langer Prozess.« Die Antwort kommt von einer fremden Frau in OP-Kleidung, die jetzt zum Bett geht und dabei ihre durchsichtigen Handschuhe abstreift. Eine weiß gestärkte Atemschutzmaske hängt an Gummibändern um ihren Hals wie eine Kette. »Die Laborarbeiten sind bereits abgeschlossen. Wir haben es im Schnellverfahren machen lassen, weil es so ... wegen seines Zustands. Wir haben Glück, dass die Zahl der funktionstüchtigen weißen Blutkörperchen noch hoch genug ist. Hätte er noch länger auf der Straße gelegen ... Sie versuchen es erst mit einer Superrunde, mit doppelt so hoher Dosis wie normal, und dann wollen sie ihn für den Hubschrauberflug nach Virginia stabilisieren.«
    Als Mom auf der anderen Seite des Bettes nickt, spüre ich einen kleinen Luftzug auf meinem Gesicht. Ich muss lächeln, aber ich bezweifle,dass irgendjemand es bemerkt. Der Rest meines Körpers ist in Laken gewickelt, eingemummelt wie ein Baby. Zurück zum Anfang. Tja ... ich hab den Sprung in die Unabhängigkeit zwar nicht geschafft, aber irgendwie bin ich gar nicht so megadown, wie ich es erwartet hätte.
    Da taucht Dad auf. Sein Kragen sieht verdächtig nach Schlafanzug aus. »Doktor, sind Sie sicher, dass er die Höhe bewältigt?«
    Der unausgesprochene Witz bringt mich zum Husten. Wisst ihr noch bei Butch Cassidy, als die Kopfgeldjäger der Eisenbahngesellschaft ihn und Sundance Kid verfolgen? Sie stehen oben auf der Klippe über dem reißenden Fluss, und Butch sagt: »Ich kann nicht schwimmen.« Sundance lacht und sagt: »Machst du Witze? Aus dieser Höhe wird der Sturz dich wahrscheinlich umbringen.«
    Die Ärztin, in Krankenbettgesprächen routiniert, dreht sich jetzt zu Dad. »Deshalb ja der Ambulanzhubschrauber. Er fliegt mit hoher Geschwindigkeit. Bis morgen früh sechs Uhr sollte er in Richmond sein, auch mit der Chemo-Infusion hier. Das Medical College hat ein Bett für ihn auf der Intensivstation. Sie können ihn dort besuchen.«
    »Ich lasse ihn nicht allein«, sagt Mom. Die Worte klingen, als würden sie mühsam aus dem Schlamm der Schuld gezogen.
    »Sylvie.« Dads Stimme. »Lass die Leute ihre Arbeit machen. Diese Behandlung ist es, was Daniel will.«
    Die Ärztin fummelt an den Knöpfen des Geräts herum. Selbst ich kann erkennen, dass sie meinen Eltern Zeit gibt, sich mit allem zu arrangieren. »Sie müssen jetzt nur noch etwas warten. Er wird in Kürze zur Behandlung gebracht.«
    Ich spüre Nicks Kaugummiatem. »Hey, Daniel, alter Kumpel. Bist du wach? Dachtest du, du könntest uns entwischen, hm? Nein, die Waltons kommen in den Big Apple.«
    Mir fehlen die Worte.
    Nick beugt sich vor. »Joe ist runtergegangen, um Kaffee zu holen. Er sagt, du hast das hier vergessen.« Er öffnet meine Hand und legt etwas hinein; trocken, glatt, die Ränder weich vom vielen Lesen. Mein
Fänger
. In der flirrenden, überhitzten Nachtluft des Krankenhausfegefeuers brennt mir die klare Erinnerung an das dunkle Buchcover mit den sonnenhellen Buchstaben hinter den Augen. Letztlich hatte Holden doch recht. Wenn du springst, hast du viele Zuschauer.
    Ich muss geschlafen haben. Ein Husten weckt mich, und ich drehe mich zu meinem unsichtbaren Zimmernachbarn um. Aber es ist mein eigenes Husten. Der Himmel ist purpurn und blutig, die Silhouette der Skyline wie mit schwarzem Markierstift in hastigen Strichen auf die rote Wunde gemalt, um die Blutung zu stillen. Das Husten ist sehr viel schlimmer geworden. Ein Ring zieht sich in meinem Brustkorb zusammen. Meine Rippen schmerzen vor Anstrengung, um nach jedem

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