Fänger, gefangen: Roman
meisten Kinder mit ihren Eltern nicht sprechen. Auch mal ganz abgesehen von der Drogenmissbrauchsgeschichte, über die mein Vater, wie ihr euch denken könnt, besonders oft mit seinen Kindern redet.
Der Mittlere zu sein, ist allerdings was Besonderes. Du hörst mehr zu, als du redest. Joes Fehler wurden allesamt vor Nick und mir ausgebreitet. Ein Vorteil, jünger zu sein, ist der, dass ich dank Joe über eine Menge Dinge Bescheid weiß, die er vorher noch nicht wusste. Seit derKRANKHEIT fühlt sich dieses vorzeitige Wissen allerdings immer weniger wie ein Vorteil an.
Als Mom und Dad mir zum ersten Mal von der Leukämie erzählten, waren wir zuerst bei einem Haufen Ärzte gewesen, die alle möglichen Tests gemacht hatten, Blutabnahmen, Ultraschall und medizinische Untersuchungen, wo sie Dinge taten, die ich niemandem erzählen kann. Niemand würde so was mit sich machen lassen, wenn er nicht krank wäre. Ich glaube nicht, dass meine Eltern auch nur ahnten,
wie
krank ich war. Ich jedenfalls ganz bestimmt nicht. Sobald ich das Wort
Krebs
hörte, hielt ich mir die Ohren zu und fing an zu summen wie ein kleines Kind, das einen Wutanfall bekommt. Nicht grad ’ne De-luxe-Aktion, was?
Ich denke, es war wohl so eine Art Übersprungshandlung, wie bei Leuten, die während eines Raubüberfalls lachen, anstatt in Ohnmacht zu fallen. Natürlich ließ Dad mich von Mom beruhigen. Dann, als hätten sie das Ganze geplant, redete er um alles herum, so wie er es immer macht – über durcheinandergeratene Zellen und ihre Erforschung, darüber, wie sie dazu experimentieren und jeden Tag neue Erkenntnisse gewinnen und manchmal auch auf falsche Fährten geraten. Es war, als würde er mir bei einer Hausarbeit helfen, nichts weiter. Aber ich fragte mich, ob sie nicht schon vorher gewusst hatten, wie die Tests ausgehen würden. Ob sie sich nicht heimlich mit den Ärzten getroffen hatten, bevor sie beschlossen, es mir zu sagen.
Ich hab aber verstanden, was Dad meinte. Was er eigentlich wollte, war, dass ich mir deswegen keine großartigen Sorgen mache. Was mich allerdings erst recht davon überzeugte, dass alles ein abgekartetes Spiel war. Dass sie das Gespräch für den Moment geplant hatten, wo Nick außer Haus war ... Mom und Dad zusammen auf der Couch, so wie Trainer, die ein Team von Losern mit Psychotricks zu motivieren versuchen, wenn sie wissen, dass wahres Talent fehlt. Ich hätte ein Vollspacko sein müssen, um nicht zu merken, wie ernst es um mich stand.
Dad konnte seinen Monolog nur aus dem Grund nicht beenden, weil Mom ihm eine Hand auf den Mund legte und zur Sache kam.
»Die Ärzte wissen auch nicht alles, Danny. Wir können dagegen ankämpfen.«
Dad schloss die Augen und sank in die Kissen zurück, als hätte er so gigantische Schmerzen, dass er den Kopf nicht mehr aufrecht halten konnte. Mom sah mich unverwandt an, den auf wundersame Weise verschwindenden Sohn. Als ich nicht zusammenbrach, legte sie ihren Kopf auf Dads Schulter, als wäre sie von der Anstrengung ganz geschafft. Ein gut gelaufenes Rennen. Eine weitere hervorragende elterliche Leistung.
Ich stand einfach auf und ging raus und summte dabei wieder, um ihre Bitte zu übertönen, ich möge doch bleiben und sie zu Ende anhören. Wir wohnten damals in dem Haus am Jeanette Drive, bevor Mom die Eingebung mit dem Hausboot hatte. Ich ging einfach zur Haustür raus und ließ sie offen. Scheiß auf sie, scheiß auf die Mücken. Bis zur nächsten Straßenecke, dann weiter zur übernächsten.
Es war einer jener Sommerabende, wo die Insekten so laut um die Straßenlaternen schwirren, dass man sich selbst nicht denken hört. Ihre kleinen Flügel schlagen so wild, als würden sie sich verzweifelt wünschen, in eine andere Welt zu kommen. Die Art von Abend, an dem man die Leute in ihren Autos zwar reden sieht, sie aber pantomimisch wirken. Wenn die Fenster geschlossen sind und die Klimaanlagen volle Pulle laufen, ist es unmöglich, ihre Worte zu hören. Sie ertrinken in ihren eigenen kleinen Welten, während Bruchstücke ihres Lebens – ein Winken, ein Nicken, ein Blick aus dem Fenster – in die Nacht springen wie Scherben eines zerbrochenen Spiegels und in immer kleinere Stücke zersplittern, bis man die Hände zurückziehen muss, um sich nicht daran zu schneiden.
Allein die Erinnerung bringt mich wieder zum Schwitzen, so wie ich in jener Nacht geschwitzt habe. Der Kragen meines T-Shirts, schweißdurchtränkt, klebte an meinem Hals und an den Schultern. Ich
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