Fänger, gefangen: Roman
nummerierten Bildern. Der Trick ist, sich so schmal wie möglich zu machen, wenn man aufs Wasser prallt, das sich dann hart wie Stein anfühlen soll und gar nicht wie Wasser. Ich hole tief Luft und strecke meinen Körper, die Arme an den Seiten, die Zehen nach unten gerichtet. Ich befehle mir selbst mir vorzustellen, dass ich durch das Wasser hinaufgleite, und nicht, dass ich nach unten tauche. Es ist wie ein Test; ich strenge mich an, bin voll konzentriert. Keine Zeit, um Angst zu haben.
Nach dem ersten Schock ist der Fluss überraschend warm. Ich höre Dad »Das ist wie Badewasser« sagen, als wir letzte Woche zusammen eine Runde schwammen, bevor er nach Chigaco aufbrach. »Genug«, sagte er nach einer Runde um das Boot, obwohl er wusste, dass ich letzten Sommer am Strand vor St. Margaret’s bestimmt immer hundert Runden geschwommen war. Und während ich durch die dichte Schwärze in den möglichen Tod gleite, wird mir plötzlich klar, dass Dad nicht deshalb leidet, weil ich schwächer und kränker werde, sondern weil er mich davor bewahren will, darüber enttäuscht zu sein, dass ich möglicherweise mein Leben verpasse. Oder besser: Was mein Leben hätte sein sollen. Es ist genau wie das Versprechen im Kreißsaal.
Nachdem ich diese ganze Szene erneut durchgespielt habe, bin ich wieder an der Oberfläche, keuche, pruste und sauge Luft in meine brennenden Lungen. Ich hatte keine Ahnung, dass die Fahrrinne so tief ist. Meredith muss einen Wagen angehalten haben, weil vier Gesichter über die Betonabsperrung gucken. Von hier unten wirken alle verschwommen.
Meredith brüllt: »Daniel, halt dich an irgendwas fest. Ist da irgendwas, an dem du dich festhalten kannst? Sie holen ein Boot.«
»Ich kann Wasser treten.«
»Im Ernst, Daniel, aber wie lange?«, brüllt sie wieder. »Der Mann hat gesagt, es kann zwanzig Minuten dauern.«
Aber ich kann nur lachen. Die ganze Situation erinnert mich an einen Sketch von Bill Cosby, diese Geschichte über Noah, die er immer mal wieder bringt und immer weiter ausschmückt. Dad liebt sie: Gott ärgert sich über Noah, weil er mit der Arche nicht vorankommt, also fragt er ihn, wie lange er Wasser treten kann. Aber abgesehen von dem Witz und der Tatsache, dass allmählich ein eisiges Gewicht an meinen Füßen zieht, denke ich daran, dass das schönste Mädchen der Welt mich rettet. Mich, Daniel Solstice Landon, den Volltrottel des Jahres.
Der Rettungstrupp kreischt mit hektischem Blaulicht zur Anlegestelle der Atkinson Fuel Company, und von irgendwoher taucht ein Motorboot mit dem grün-braunen Emblem der Wild- und Inlandfischereigesellschaft an der Seite auf. Nachdem sie an einem alten Dalben festgemacht haben, gleich neben dem, an dem ich mich festklammere, werfen sie eine weitere Halteleine aus und manövrieren das Boot dicht genug ran, um mich über den Heckspiegel ziehen zu können, ohne dass ich an den Pfählen zerquetscht werde. Ich schreie unwillkürlich auf, als mein Knöchel über das Dollbord schürft, während sie mich wie einen preisträchtigen Blaubarsch an Bord holen.
»Daniel Landon?« Der Anführer des Rettungsteams ist Mr Lassiter, der in der Mittelschule Algebra unterrichtet. Er hat mir eine Zwei plus gegeben und gesagt, ich könne Besseres leisten. Damals hielt ich das für unglaublich bescheuert. Wie wollte er das über mich wissen, wenn ich in seiner Klasse doch nur Zweier-Leistungen gezeigt hatte?
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragt er mich.
Ich grunze, weil mir der Brustkorb schrecklich wehtut und mein Knöchel puckert und klopft wie ein loser Auspuff.
»War das irgend so eine verrückte Mutprobe?«
Ich schüttle den Kopf und schaffe es zu antworten: »Nur eine Volltrottel-Nummer.«
Als Mr Lassiter in seiner leuchtend orangefarbenen Weste das Boot am Dock anlegt, ist Meredith da. Ich kann kaum aus der Decke gucken, in die sie mich wie in eine Zwangsjacke eingewickelt haben, aber ich kann hören, dass sie schwer atmet.
»Es war ein Unfall«, erklärt sie keuchend.
Mr Lassiter sieht sie an. »Du warst mit auf der Brücke?«
Sie lassen sie nicht im Krankenwagen zur Notaufnahme mitfahren. Laut Vorschrift dürfen das nur Familienmitglieder. Als sie anbietet, meine Eltern anzurufen, erwidert Mr Lassiter, das sei nicht nötig. Während einer aus dem Rettungsteam den Bericht schreibe, werde er mit dem Motorboot zu meinen Eltern fahren und sie informieren, dass ich auf dem Weg ins Krankenhaus sei. Meine Eltern könnten mich in der Notfallaufnahme des
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