Fänger, gefangen: Roman
nichts.«
»Es ist ja ordentlich«, meint Meredith. »Auf seine eigene Art. Ich meine, alles, was man zum Fahren braucht, ist da.« Sie zeigt auf die Geräte am Armaturenbrett.
»O ja«, sage ich. »Kompass. Tiefenmessgerät. Steuerrad. Die sind zum Glück alle festgeschraubt.«
Sie lacht. Höflich interessiert betrachtet sie die Ablagefläche hinter dem Steuerrad, wo Dad seine Schiffskarten aufbewahrt. Die breitenFenster lassen sich nicht öffnen und bilden den Windschutz für den Steuermann auf dieser Seite der Kajüte.
»Es gibt noch ein Steuer auf dem Dach«, sage ich. »Für schönes Wetter.«
Sie begutachtet den ganzen Schnickschnack und die Bücher auf den Regalen. Allen gefällt es immer, wie clever und kompakt das Schiff eingerichtet ist.
»Die Kombüse.« Ich deute auf ein Abteil zwischen Steuer und Schlafkabine.
»Cool«, sagt sie, während ich ein paar Schränke aufmache und ihr das System mit Haken und beweglichen Ablagen zeige, damit die Sachen bei starkem Seegang nicht hin und her rutschen.
Sie lässt sich wieder aufs Deck führen. Ihre Hand ist kalt, und ich hebe sie vor meinen Mund und puste ihr auf die Finger.
»Hier Vordeck, dort Backbord.« Ich gehe rückwärts, und sie folgt mir, ohne meine Hand loszulassen. Ihre Finger sind schon ganz klamm vor Kälte. Als sie in Nicks und meine Kabine schauen will, ziehe ich sie weg.
»
Tz-tz!
Nicht so schnell. Erst kommt die Kabine achtern. Das Elternschlafzimmer, aber Eltern sind momentan nicht an Bord.« Ich lasse die Tür zu. Nicht nötig, sie mit dem Zustand der Kabine zu erschrecken. Sie hat ja schon einen Eindruck bekommen.
Als wir in den überdachten Durchgang treten, der die zwei Kabinen trennt, bleibt sie dicht bei mir. Ich frage mich, ob sie hier auch die plötzliche Windstille und Wärme spürt. Als ich auf der anderen Seite wieder aufs Deck rausgehen will, zieht sie mich zurück.
»Es ist also sonst niemand hier?«, fragt sie mich.
»Nein.«
Man hätte schon blöd sein müssen, um die Einladung in ihrer Stimme nicht zu hören. Ich mag wohl ein Streber sein und etwas ungesellig, aber ich bin nicht blöd. Ich drehe mich auf einem Fuß herum und seh sie an.
Ihr Lächeln leuchtet im Dunkeln fast. Ich küsse sie. Nicht nur einmal, und es ist unglaublich. Wahnsinn. Sie legt ihre Arme um meinen Nacken. Mit jeder Sekunde wird es wärmer. Ich spüre ihre Lippen auf meiner Wange, an meinem Ohr. Ich weiß gar nicht, wie ich beschreiben soll, wie das Gefühl von deinen Lippen durch den ganzen Körper zieht und dich überall wärmt. Und um wie viel schöner es ist, wenn du den Menschen wirklich magst, den du küsst.
Sie flüstert: »Sag noch mal meinen Namen, so wie du’s im Ruderboot gemacht hast.«
»Meredith.« Ich versuche, die Silben länger auszusprechen und uns in den Klang einzuhüllen.
»Nein, den Spitznamen, den du gesagt hast.«
»Oh ... Ach, Merry?«, sage ich erstaunt. »Ich hab das gar nicht bewusst gesagt, es ist mir einfach so rausgerutscht.«
»Ich hab noch nie einen Spitznamen gehabt.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal.«
Die Küsse werden heftiger. Ich kann sie nicht dicht genug an mich pressen. Joe wäre enttäuscht, dass ich das nicht besser geplant habe, gewartet habe, bis wir in der Kabine sind, in der Nähe einer Koje.
»Komm, der Rundgang ist noch nicht beendet.«
Mehr Küsse. Sie mag die Stelle genau vor meinem Ohr.
»Meredith, Meredith.«
Dicht an dicht gehen wir zur anderen Seite des Decks. Das Boot schwankt, und sie drückt sich noch fester an mich. Ihre Finger sind wie kleine Eisskulpturen, hart und gekrümmt in meinen Händen. Ich spüre, wie sie zittert.
»Es ist zu kalt hier draußen«, sage ich. »Lass uns reingehen.«
Da Nick, bevor ich ging, noch fürs Zelten gepackt hat, bin ich ziemlich sicher, dass unsere Kabine einigermaßen vorzeigbar aussieht. Ich krabble im Dunklen mit den Fingern über die Wand, bis ich den Lichtschalter finde. In allen vier Ecken leuchten Glühlampen mit schwacher Wattzahl auf, die von der Batterie gespeist werden. Meredith sieht sichum. Es gibt nicht genug Regale, deshalb stehen überall Bücherkisten rum. Vielleicht findet sie die Kojen doof, aber auf einem Hausboot gibt’s nun mal keine bessere Lösung.
Nicks preisträchtiger Müllhaldenfund, ein alter Fernseher, größer als ein Stuhl, steht auf dem eingebauten Kleiderschrank. Er hat ihn mit einer Decke abgefedert und mit einem Gummispanner befestigt, damit er bei Seegang nicht rutscht. Das Ding ragt fünfzehn
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