Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
Vom Netzwerk:
Traum verfolgt mich – eine Armee marschierender Krebszellen, mit der Aufschrift AML auf den Uniformen. Eine Reihe unerschütterlicher Krieger säumt einen Hügelkamm, und davor marschiert eine Phalanx von Grippezellen durch das Tal. Trompeten klingen, Fahnen flattern, und am äußersten Rand meines Blickfelds surren Fernsehkameras, während sie meine Eltern interviewen. Daneben steht Mr Walker wie ein Cheerleader gekleidet, die stämmigen haarigen Beine unter einem rosa Faltenrock.
    »Pizza?« Nick schon wieder mit seiner Pizza ... Seine Stimme dringt aus der vorderen Kabine in meinen Traum. Mir wird übel.
    Dad reagiert schnell. »Ich fahre nirgends hin, außer an den Steg, um deine Mutter abzuholen.« Damit einigermaßen beruhigt, schlafe ich wieder ein.
    Ich kriege nicht mit, wann Mom nach Hause kommt. Endlich ist diese Würgerei vorbei. Ich schlafe, zitternd und fiebrig, und gleite durch Träume, die weit von allem entfernt sind, was ich mir in wachem Zustand vorstellen könnte.
    Irgendwann später – es ist wieder Abend, aber Gott weiß, an welchem Tag – wache ich schweißgebadet auf und kann tatsächlich die Augen öffnen. Überrascht stelle ich fest, dass ich in der unteren Koje liege, was aber nur logisch ist. So benommen, wie ich war (und vielleicht immer noch bin – ich bin nicht wach genug, um das zu beurteilen), wäre die Leiter schwierig gewesen. Eigentlich unmöglich, denn als ich genauer hinsehe, fällt mir auf, dass sie gar nicht da ist. Dad. Wieder mal eins von diesen Elterndingen, die sie tun: die Möglichkeit, dass du einen Fehler machst und dich verletzt, schon im Vorfeld erahnen und unterbinden. Ob er sich wohl für die Leukämie die Schuld gibt, weil er letztes Frühjahr keine elterliche Vorsichtsmaßnahme ergriffen hat?
    Die Hand an der Kabinenwand, schlurfe ich zum Pinkeln aufs Klo. Das Gespenst im Spiegel erinnert nur vage an Daniel Solstice Landon und erschreckt mich so sehr, dass ich ins Bett zurückwanke, ohne ein weiteres Mal hinzusehen. Als ich das nächste Mal aufwache, ist es draußen dunkel, und über Nicks und meinem gemeinsamen Schreibtisch brennt das Licht. Mom sitzt da, den Kopf auf die Arme gelegt. Vielleicht schläft sie. Ich strample ein wenig – es ist viel zu warm – und suche mit den Beinen ein kühles Stück Bettlaken. Als sich die Bettdecke um sie schlingt, spüre ich den Drang, alles abzuwerfen und mich zu befreien.
    »Daniel.« Mom schießt hoch und fasst mich am Ellbogen. »Geht’s dir besser.«
    »Wie lange bist du schon da?«
    »Es ist Dienstagmorgen«, antwortet Mom. »Zwei Uhr noch was, als ich das letzte Mal geguckt hab.« Sie sieht zu, wie ich mich freikämpfe und aufstehe. Als ich in Richtung Toilette schlurfe, entspannt sie sich, als hätte sie befürchtet, dass ich ins Wasser springen will.
    Sie flüstert: »Ich dachte, ich lese hier ein bisschen für den Fall, dass du was brauchst, wenn du aufwachst.«
    Ich brumme zustimmend. Mein Kopf ist schwer wie eine Bowlingkugel. Ich weiß nicht mal, ob ich ihn den ganzen Weg zum Klo und wieder zurück tragen kann.
    »Du bist gerade sechzehn geworden«, sagt sie etwas lauter, als könnte sie es selbst kaum glauben.
    Mehr Brummen von meiner Seite. Ich weiß nicht, wovon sie spricht.
    »Wusstest du, dass du mitten in der Nacht geboren wurdest, so wie jetzt?«
    »Geboren?«, murmele ich durch die geschlossene Tür.
    »Ja, dein Vater hat Joe aufgeweckt, damit er dich sehen kann«, erzählt mir Mom. »Er war so um die fünf. Wir hatten diese wunderbare Hebamme, Mary Stewart Elliott. Die war vielleicht zweiundsechzig oder dreiundsechzig. Sie hatte schon Hunderte von Babys zur Welt gebracht.«
    »Wie im Film, wo die Hebamme der Frau einen Stock zum Draufbeißen gibt?«, frage ich. »Und der Ehemann unten auf der Treppe sitzt, den Kopf in die Hände stützt und leidet, weil er der Frau, die er liebt, so was Schreckliches angetan hat?« Es ist mein klarster Gedanke seit Tagen.
    Wow!
Es muss mir besser gehen. Obwohl hier vielleicht mein Unterbewusstsein spricht. Noch klarer als die Hebammenfilmszene sehe ich, was ich Meredith angetan habe. Ich habe ihr Leben für immer verändert und verschwinde dann in einem Nebel aus Fieber und Nachtschweiß. Selbst in ihrem eigenen Fieberwahn hat sie sich bestimmt gefragt, was zum Teufel ich wohl für ein Typ bin, dass ich seit zwei Tagen nicht anrufe.
    Obwohl Mom meinen Arm stützt, damit ich mich aufrecht halte, kann ich plötzlich, mitten im Raum, nicht mehr weitergehen. Von dem

Weitere Kostenlose Bücher