Fänger, gefangen: Roman
zustimmt.«
Der Senator schlürft seinen Kaffee, als würde ihm die Zeit genau hier in dieser Küche davonlaufen, falls er die Worte nicht schnell genug rausbekommt. Meine Eltern hängen an seinen Lippen. Ich bin ganz aufgeregt bei der Vorstellung, dass ich der Jugendliche bin, von dem sie sprechen: Deshalb bekomme ich einiges nicht mit, was er über Senatoren sagt, die den Gesetzentwurf mit unterstützen, und wie die einzelnen Delegierten seiner Meinung nach abstimmen werden.
»Wie zu erwarten war, haben sie ein paar Bedingungen daran geknüpft.« Er lacht auf, redet aber sofort weiter. »Der oder die Jugendliche muss reif sein und die Krankheit lebensbedrohlich. Natürlich können wir jetzt noch nicht wissen, wie der Text am Ende lauten wird.« Er fährt damit fort, uns zu sagen, wer sich bereits für das neue Gesetz ausgesprochen hat und wer noch unentschieden ist. Einige der Namen habeich schon mal irgendwie in den Nachrichten gehört, aber ich interessiere mich nicht besonders für Abstimmungsergebnisse von Politikern. Senator Yowell scheint jeden anderen Politiker danach einschätzen zu können, wie er zu bestimmten Themen abgestimmt hat (oder nicht), von denen ich nicht mal zu fünfzig Prozent jemals etwas gehört habe. Mom und Dad nicken immer noch.
Ich verliere den Faden, als Mom mit ihrer Litanei von Fragen ansetzt, wie das denn nun mit der Vernachlässigungsklage zusammenhängt, die der Grund für ihren Schuldspruch war. Wie kommt sie darauf, dass der Senator sich für diese Anklage interessiert? Warum macht er hier plötzlich einen auf bester Kumpel meiner Eltern, die ihm bestimmt nie irgendwas für seinen Wahlkampf spenden werden. Die finanzielle Situation der Landons ist in allen Klatsch- und Tratschgesichten der Stadt sicher ebenso Thema wie die KRANKHEIT. Ihre Stimmen dröhnen von fern an mein Ohr, während ich angestrengt überlege, ob ich Filme oder Fernsehsendungen über politische Intrigen kenne, die das plötzliche Interesse des Senators an einer so unbedeutenden Angelegenheit erklären könnten, wo er sich doch um viel größere Themen kümmern sollte, zum Beispiel die legislative Agenda des gesamten Staates.
Holden würde ernsthaft an der Aufrichtigkeit des Senators zweifeln. Er würde an die Pencey denken und den alten Knacker Ossenburger, der haufenweise Geld gespendet hat, damit sie ein Wohnheim nach ihm benennen, weil er sich selbst so megamäßig findet. Ich wünschte, ich hätte Holdens Freund Marsala hier, der jetzt einen fahren lassen könnte oder rülpsen würde oder was auch immer, nur irgendetwas, um die Dinge wieder in die richtige Perspektive zu rücken. Trotz aller großen Worte und flotten Phrasen möchte ich wetten, dass der Senator keine Ahnung hat, welche Behandlungsmöglichkeiten mir überhaupt noch offenstehen. Ich weiß es ja selbst nicht. Er muss einen Grund haben, weshalb er dieses Gesetz geändert sehen möchte. Einen Moment lang überlege ich, ob Leonard vielleicht auch krank ist. Vielleicht werden wir alle von diesem blödenFluss vergiftet. Aber dann sehe ich ein, dass das nur gedachter
Invasion-der-Körperfresser-
Mist ist.
Ohne mitzukriegen, dass er mich verloren hat, leistet der Senator weiterhin Überzeugungsarbeit. Das kann er immerhin am besten. »Wenn der Gesundheitsausschuss den Gesetzentwurf durchwinkt«, sagt er, »geht er nächste Woche vor das Repräsentantenhaus, vielleicht Dienstag. Dann muss der Entwurf vor Ablauf der nächsten Woche noch vom Senatsausschuss bestätigt werden und dann vom ganzen Senat. Ich bleibe dran.«
Moms Augen leuchten bereits, aber Senator Yowell redet und redet.
»Ich glaube, mit ein bisschen Überredungskunst kann ich genug Stimmen zusammenkriegen. Die religiöse Rechte liebt es. Die Republikaner lieben es, weil es dem Staat Macht wegnimmt und dem Individuum zurückgibt, den Familien. Wenn wir genug Stimmen bekommen, wird es durchgewunken.«
Was Senator Yowell im Grunde sagen will, ist, dass er versucht, innerhalb von sieben Tagen ein Gesetz zu ändern, das seit Jahren, vielleicht sogar Jahrhunderten besteht. Ich bin erst sechzehn, aber sogar ich kann sehen, dass das ganz schön optimistisch gedacht ist. Alle reden ständig davon, wie altmodisch Virginia ist.
An Moms Gesicht kann ich erkennen, dass sie ihm glauben will. Aber die letzten sechs Monate haben es ihr schwergemacht, überhaupt an was zu glauben. Trotzdem widerspricht sie nicht.
Dad sieht verloren aus. »Das klingt ... kompliziert, Paul. Und ... ist es nicht
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