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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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kann. Du willst es aber auf keinen Fall verpassen. Es schafft die Verbindung zu einem anderen Ort, an dem du bisjetzt noch nicht mal gewesen bist. Es sagt dir: Sicher, Umstände können Menschen trennen, Umstände, die du nicht kontrollieren kannst, aber trotzdem gibt es da was, etwas zwischen dir und diesem Ort, das du nicht beschreiben kannst. Oder sehen. Dieser Wind bringt überhaupt keine Gewissheit, nur Möglichkeiten.
    Schon als wir am Jeanette Drive wohnten, vor dem Hausboot, mochte ich den Winter am Fluss lieber als den Sommer. Der Winter ist schärfer. Der Fluss öffnet sich. Du siehst, wie er sich durchs Land schlängelt. Du weißt, ohne es zu sehen, dass da Otter und Kraniche und Reiher durchs Schilfrohr streifen. Der Ostwind spricht laut, mehr von der Zukunft als von der Gegenwart.
    Mom mag sein Heulen nicht. Dad neigt nur kommentarlos den Kopf. Er ignoriert ihn einfach. Nick tut so, als wäre er ein Riese, der im schlammigen Flussbett überwintert, sich umdreht und beim Schlafen einen fahren lässt.
    Doch die flitzig schnellen Winterwolken, die dieser Ostwind vor sich hertreibt, heben mich hoch und tragen mich fort. Fort von Nick und Joe, fort von Mom und Dad, von allem, was ich kenne. Wenn ich als Kind mit diesem Wind flog, war ich erwachsen. Einfach so. Ich konnte alles tun. Auf diesem Wind zu reiten, war, wie in die Zukunft zu reisen. Einmal, Jahre vor der KRANKHEIT, habe ich mich als Vater einer langhaarigen Tochter gesehen, ihr Haar so rot wie Dads. Ich trug das Bild meiner Frau in der Brieftasche und zeigte es jedem. Ein anderes Mal hab ich gesungen, nicht wie ein Rockstar, sondern wie ein Bauer, der seine Lieder ausstreut und -wirft wie Samen oder Faschingsbonbons. Die Leute sammelten sie auf, so schnell sie konnten, als wären sie wertvoll. Und ich musste zurückweichen, damit ich nicht bedrängt wurde, so beliebt war ich. Der Ostwind trug mich in Räume innerhalb von Räumen, wie in einer Zeichnung von M. C. Escher. Schwarz und weiß, aber jede Menge klitzekleine Details und immer wieder ein neuer Raum hinter dem nächsten und noch einer. Ich hatte alles so deutlich vor Augen, dass ich es in Sekundenschnelle hätte aufzeichnen können.Aber als ich es versuchte, wurde nichts daraus, und ich warf die Zeichnungen weg.
    Mit der wütenden Leukämie unter meiner Haut, die zwischen Knochen und Muskeln Verstecken spielt, liege ich in diesem Winter wach, wenn die Temperatur unter null Grad fällt und es friert. Ich lausche und warte und hoffe, dass der Ostwind wiederkommt und mich wegträgt. Ich muss diese Zukunft sehen. Ich will wissen, ob ich mich richtig erinnere, ob sie immer noch da ist, denn die Details weiß ich jetzt schon nicht mehr richtig.
    Nach Weihnachten, nachdem Mom darauf beharrt, dass wir bis zum Frühling nicht mehr aufs Hausboot gehen, schlüpfe ich mehrmals aus dem Fenster unserer Wohnung und gehe zum aufgelösten Yachthafen oder zur Brücke, weil ich Angst hab, der Autolärm der Route 17 könnte den Wind übertönen. In eine Decke gewickelt stehe ich unter dem Winterhimmel am Ufer wie ein einsamer afghanischer Berghirte und horche nach dem Ostwind, nach einem Hinweis auf meine Zukunft. Als er nicht kommt, fange ich allmählich an zu glauben, dass ich mir alles nur eingebildet habe.

17
    Eines Nachts, lange nachdem alle Lichter ausgeschaltet sind, liege ich eingemummelt in meinem Bett und denke schlaftrunken an einen kuschligen Nachmittag mit Meredith in ihrem Keller. Das gedämpfte Tuckern eines laufenden Automotors draußen vor der Wohnung dringt in meinen Kokon. Es steigt aus der Nacht auf wie ein Oboensolo aus den lang gezogenen Tönen ferner Waldhörner. Meine Schlafzimmertür wird geöffnet – Nick schläft bei einem Freund und Dad ist bei einer Verlagskonferenz, um mehr Arbeit aufzutreiben, damit er Walkers Rechnungen bezahlen kann –, und Moms Stimme säuselt durch die Schatten.
    »Daniel, wach auf. Ich hab die Flugtickets. Wir brechen auf.«
    Ich zieh die Knie hoch und tauche mit dem Kopf unter die Decke, als wäre die Welt meines Traums mit all seinen Geheimnissen sicherer. Dann spüre ich ihre Hand auf der Decke, die meine Schulter sucht.
    »Ich hab schon frische Klamotten für dich eingepackt«, flüstert Mom. »Du musst nur noch deine Bücher und den CD-Player in den Rucksack stecken und dich anziehen.«
    Steif und apathisch wie der hypnotisierte Freiwillige in einer Zaubershow steige ich aus dem Bett, zieh eine Jeans aus dem Stapel auf dem Stuhl und ein Sweatshirt aus

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