Fahr zur Hölle
Klingeltöne kündigten Nachrichten an. Er ignorierte sie und drückte mit dem Daumen auf Tasten.
Ich sagte nichts, weil ich selbst bereits am Telefon hing.
Larabee antwortete nach dem ersten Läuten. Hintergrundgeräusche deuteten darauf hin, dass er in einem Auto war. »Ich wollte Sie eben anrufen.«
»Was ist mit Gamble passiert?«, fragte ich.
»Irgendein ungewöhnlicher Unfall. Ich bin jetzt auf dem Weg nach Concord. Sie sollten besser dazukommen.«
Ich fragte nicht nach einem Grund.
»Ich fahre sofort los.«
»Danke.« Eine kurze Pause, dann: »Alle suchen nach Galimore. Haben Sie ’ne Ahnung, wo er sein könnte?«
Klasse. Hawkins hatte Larabee von der Nachricht erzählt, die er mitgehört hatte. Und wahrscheinlich auch noch ausgeschmückt.
»Ich bin mir sicher, der taucht gleich auf.«
Als ich abschaltete, war Galimore nicht mehr in der Küche. Durchs Fenster konnte ich ihn auf der Veranda sehen, wo er mit seinem Handy telefonierte. Übertriebene Gesten sagten mir, dass er aufgeregt war.
Sekunden später ging die Tür auf.
»Ich muss los.« Galimores Gesicht war angespannt.
»Ich auch. Larabee will mich vor Ort haben.«
»Das klingt nicht gut.«
»Nein.«
»Dann sehen wir uns dort.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag machte ich die lange Fahrt zur Rennstrecke.
Wie schon der Fund des Unbekannten auf der Deponie zeigte, hören die Charlotter Medien den Polizeifunk mit. Und Neuigkeiten verbreiten sich schnell.
Jeder Lokalsender war da, ein oder zwei landesweite, und alle so positioniert, dass sie einen angemessen dramatischen Hintergrund für die Verkündung einer Tragödie hatten. Ein wichtiges NASCAR-Ereignis in vollem Gang. Ein gewaltsamer Tod trifft die Boxencrew eines Favoriten. Ich hörte die Schlagzeilen schon in meinem Kopf.
Am Haupttor zeigte ich meinen Ausweis. Wurde gebeten zu warten. Augenblicke später stieg ein Deputy zu mir ins Auto. Wortlos rollten wir zwischen den Ständen hindurch zum Tunnel.
Unterwegs sah ich Reporter in tragbare Mikrofone sprechen, die Gesichter ernst, Haare und Make-up perfekt im Licht der mobilen Scheinwerfer. Andere warteten, rauchten allein oder witzelten mit ihren Kameramännern und Tontechnikern. Über uns kreisten Hubschrauber.
Seit meinem Besuch am Vormittag waren Barrikaden errichtet worden. Deputies des Sheriffs, Polizisten aus Concord und Sicherheitsleute der Rennstrecke bewachten sie, um das Chaos unter Kontrolle zu halten.
Auf dem Infield standen Camper neben Zelten oder oben auf Wohnmobilen, sie redeten mit gesenkten Stimmen, hofften auf einen kurzen Blick auf einen Prominenten, einen Verdächtigen in Handschellen oder einen Leichensack. Einige hatten Taschenlampen. Einige tranken aus Dosen oder Flaschen mit langem Hals. In einem Bogen hoch über den Schaulustigen ragten die verglasten Luxussuiten dunkel und leer auf.
Der Deputy dirigierte mich zum Werkstattbereich des Sprint Cup. Ich rief mir Wayne Gamble noch einmal vor Augen. In meinem Büro im MCME am vergangenen Freitag. Zusammen mit Slidell in Sandy Stupaks Trailer vor gerade einmal zwölf Stunden. Jetzt war der Mann tot. Mit siebenundzwanzig Jahren.
Gamble hatte sich an mich gewandt, und ich hatte ihn ignoriert. Hatte ihn nicht zurückgerufen.
Das schlechte Gewissen fühlte sich an wie eine kalte Faust, die meine Brust zusammenpresste.
Lass es, Brennan. Hilf lieber mit herauszufinden, was er dir sagen wollte.
Nachdem wir das Media Center hinter uns gelassen hatten, sah ich die gewohnte Ansammlung von Streifenwagen, Zivilfahrzeugen und Transportern. Einer der Letzteren trug die Aufschrift crime scene unit . Der andere war unser eigener Leichenhallentransporter. Hinter dem Steuer saß eine Silhouette, von der ich wusste, dass es Joe Hawkins war.
Ich parkte etwas abseits und stieg aus.
Der Abend war windstill und schwül. Die Luft roch nach Regen, Benzin und Frittierfett von den Kiosken.
»Ich suche Dr. Larabee«, sagte ich zu meinem Begleiter.
»Ich bringe Sie zu ihm.«
Ich holte meine Ausrüstung aus dem Kofferraum und folgte ihm.
Am Rand des Getümmels lehnte ein Mann an einem Streifenwagen des Cabarrus Sheriff’s Department. Sein Gesicht wirkte blass in den pulsierenden blauen und roten Lichtern. Er schien um Fassung zu ringen.
Am Logo auf seinem Hemd erkannte ich, dass der Mann zu Stupaks Crew gehörte. Seinem Gesichtsausdruck nach war er derjenige, der Gamble gefunden hatte.
Larabee stand vor Stupaks Werkstatt und sprach mit einem Kerl in Hemd und Krawatte, den ich
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