Fahrenheit 451
beschaffen.«
»Sie bringen sich in Gefahr.«
»Das ist das Gute am Sterben; wenn man nichts mehr zu verlieren hat, scheut man keine Gefahr mehr.«
»Sehen Sie«, lachte Faber, »da haben Sie etwas Bemerkenswertes gesagt, ohne es irgendwo gelesen zu haben.«
Montag beugte sich vor. »Heute nachmittag kam mir der Gedanke, wenn an den Büchern wirklich etwas liegen sollte, könnten wir uns eine Druckerpresse besorgen und weitere Exemplare herstellen ...«
»Wir?«
»Sie und ich.«
»Ohne mich!« Fabers Haltung versteifte sich.
»Hören Sie doch meinen Plan ...«
»Noch ein Wort, und ich muß Sie bitten, mein Haus zu verlassen.«
»Wäre es denn nichts für Sie?«
»Nicht wenn Sie anfangen, Reden zu führen, die mich auf den Scheiterhaufen bringen können. Zuhören könnte ich Ihnen höchstens, wenn Sie mir eine Möglichkeit zeigen, die Feuerwehr überhaupt loszuwerden, wenn Sie zum Beispiel meinen, wir sollten Bücher drucken, um sie landauf, landab in die Wohnungen der Feuerwehrleute einzuschmuggeln und unter den Brandstiftern Zwietracht zu säen, da würde ich Beifall klatschen!«
»Die Bücher einschmuggeln, Anzeige erstatten und die Häuser der Feuerwehrleute in Flammen aufgehen sehen, ist es das, was Ihnen vorschwebt?«
Faber machte erstaunte Augen, als sehe er einen ganz neuen Menschen vor sich. »Ich habe nur Spaß gemacht.«
»Wenn Sie finden, es lohne sich, müßte ich es Ihnen aufs Wort glauben.«
»Dergleichen läßt sich nicht gewährleisten! Schließlich hatten wir einst Bücher genug und mußten doch den Sprung in die Tiefe tun. Aber wir könnten eine Verschnaufpause brauchen. Wir könnten etwas Weisheit brauchen. Und dann, in tausend Jahren, springen wir vielleicht nicht mehr so tief. Die Bücher sind dazu da, uns in Erinnerung zu rufen, was für Esel und Schöpse wir sind; sie versehen bei uns den Dienst derjenigen, die Cäsar auf einem Triumphzug zuraunen mußten: ›Vergiß nicht, Cäsar, daß du sterblich bist.‹ Die wenigsten von uns können reisen, mit jedermann sprechen, alle Städte der Welt kennen, dazu haben wir weder Zeit, Geld, noch genug Freunde. Was Sie suchen, Montag, findet sich auf der Welt, aber der Durchschnittsmensch bekommt neunundneunzig von hundert Dingen überhaupt nie zu sehen, höchstens in Büchern. Fragen Sie nicht nach Sicherheit. Und rechnen Sie nicht damit, Ihr Seelenheil in einer einzigen Sache, Person, Partei oder Bibliothek zu finden. Machen Sie Ihr Seelenheil mit sich selber ab, und wenn Sie dabei untergehen, geschieht es wenigstens im Bewußtsein, den rettenden Strand angesteuert zu haben.«
Faber stand auf und begann das Zimmer zu durchmessen.
»Nun?« fragte Montag.
»Ist es Ihnen ganz und gar Ernst damit?«
»Ganz und gar.«
»Es ist ein arglistiger Plan, ich muß schon sagen.« Faber warf einen ängstlichen Blick nach der Schlafkammer. »Die Häuser der Feuerwehrleute landauf, landab in Flammen zu sehen, zerstört als Brutstätten des Hochverrats. Der Salamander beißt sich in den Schwanz. Herrgott noch mal!«
»Ich besitze ein Verzeichnis der Wohnungen sämtlicher Feuerwehrleute. Mit einer Art Untergrundbewegung ...«
»Man kann niemand mehr trauen, das ist es ja! Sie und ich, wir stecken die Häuser in Brand, und wer noch?«
»Gibt es denn keine Dozenten wie Sie, ehemalige Schriftsteller, Geschichtsschreiber, Sprachkundler ...?«
»Tot oder uralt.«
»Je älter desto besser, dann bleiben sie unbeachtet. Sie kennen doch Dutzende, geben Sie es nur zu!«
»Ach, es gäbe schon genügend Schauspieler, die seit Jahren in keinem Pirandello oder Shaw oder Shakespeare mehr aufgetreten sind, weil deren Stücke einen allzu wachen Sinn verraten. Wir könnten uns ihren Unmut zunutze machen. Und auch den ehrlichen Zorn der Historiker, die seit vierzig Jahren keine Zeile mehr geschrieben haben. Gewiß, wir könnten anfangen, die Leute im Denken und Lesen zu schulen.«
»Ja!«
»Aber damit würde höchstens ein Rand angeknabbert. Unsere Kulturwelt ist von innen heraus verseucht. Das ganze Gerüst muß umgeschmolzen werden. Du lieber Himmel, es gilt nicht bloß ein Buch wieder aufheben, wo man es vor einem halben Jahrhundert hingelegt hat, so einfach ist die Sache nicht. Bedenken Sie doch, daß es der Feuerwehr kaum bedarf. Die Leute haben von selber aufgehört zu lesen. Ihr von der Feuerwehr sorgt ab und zu für eine Volksbelustigung, indem ihr Häuser in Brand steckt, aber das ist nur ein Flohzirkus. Es ginge wohl auch ohne euch. Die
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