Fahrenheit 451
von beiden gehörst du wohl?«
Montag biß sich auf die Lippen.
»Ich will es dir sagen«, erklärte Beatty, wobei er lächelnd auf seine Karten sah. »Es hat dir eine Zeitlang den Sinn umnebelt. Lies ein paar Zeilen, und schon wirfst du dich in den Abgrund. Mit einem Schlag bist du bereit, die Welt in die Luft zu sprengen, Köpfe abzuhacken, Frauen und Kinder zu zertrampeln, die Obrigkeit zu stürzen. Ich weiß Bescheid, ich habe das auch durchgemacht.«
»Mir fehlt nichts«, beteuerte Montag unsicher.
»Dann brauchst du auch keinen roten Kopf zu kriegen. Ich will ja nicht sticheln, sicher nicht. Übrigens, Montag, ich hatte da vor einer Stunde einen Traum. Ich hatte mich hingelegt, und in diesem Traum kam es zwischen uns zu einer erregten Auseinandersetzung über die Bücher. Wutentbrannt hast du mir alle möglichen Zitate an den Kopf geworfen, während ich dir gelassen Rede und Antwort stand. Macht , sagte ich. Und du, mit einem Wort Dr. Johnsons: ›Wissen ist der Gewalt mehr als gewachsen.‹ Worauf ich entgegnete: ›Dr. Johnson hat aber auch gesagt: Wer eine Gewißheit um einer Ungewißheit willen im Stich läßt, handelt nicht klug.‹ Bleib bei der Feuerwehr, Montag. Alles andere ist trostlose Anarchie.«
»Hör nicht auf ihn«, raunte Faber. »Er will Verwirrung stiften. Du wirst ihm nicht beikommen. Paß auf!«
Beatty schmunzelte. »Und du hast gesagt: ›Die Wahrheit kommt stets an den Tag, Mord läßt sich auf die Dauer nicht verhehlen‹, worauf ich gutgelaunt zurückgab: ›Ach Gott, er spricht nur von seinem Pferd!‹ und ›Der Teufel kann sich auf die Heilige Schrift berufen.‹ Und du hast mich angeschrien: ›Ein schmucker Pfingstochs wird heut mehr geachtet, als wer im schäbigen Rock nach Wahrheit trachtet.‹ Ich gab dir zu bedenken: ›Wahrheit verliert an Würde, verficht man sie zu laut.‹ Aber du hast gerufen: ›Leichname bluten angesichts des Mörders!‹ Ich klopfte dir begütigend auf die Hand, mit den Worten: ›Wie, find ich deine Billigung nicht?‹ Und du schriest: ›Wissen ist Macht!‹ und ›Ein Zwerg auf eines Riesen Schultern sieht weiter noch als dieser!‹ Und ich faßte meine Einstellung mit olympischer Gelassenheit zusammen, indem ich Valery zitierte: ›Ein Gleichnis für einen Beweis zu halten, einen Schwall von Worten für eine Quelle von Grundwahrheiten und sich selber für einen Ausbund an Weisheit, diese Torheit ist uns angeboren.‹«
Montag fühlte, wie sich ihm alles im Kopf drehte, als hätte er schwere Schläge hinnehmen müssen. Am liebsten hätte er aufgeschrien: »Nein, sei still, du bringst alles durcheinander, hör auf!« Beatty griff mit anmutiger Gebärde nach seinem Handgelenk.
»Mensch, was für ein Puls! Wie Sturmgeläute. Soll ich weiterreden? Deine schreckensbleiche Miene ist köstlich. Ich spreche noch mancherlei Sprachen. Sehr beredt, dein stummes Spiel, Willie!«
»Montag, halten Sie an sich!« Der Falter streifte sein Ohr. »Er wühlt nur Schlamm auf!«
»Ach, dir wurde wohl angst und bang, weil ich, o Schrecken, gerade die Bücher, an die du dich klammerst, herangezogen habe, um dich in jeder Hinsicht zu widerlegen. Wie treulos Bücher doch sein können! Du glaubst, an ihnen einen Rückhalt zu haben, und sie hallten es mit dem Gegner. Andere können sich ihrer auch bedienen, und dann stehst du da, mitten im unwegsamen Gelände, in einem Dickicht von Wörtern aller Art. Und ganz am Schluß des Traumes kam ich mit dem Salamander und sagte, ›haben wir denselben Weg?‹ und du bist eingestiegen, und wir fuhren in wohltuendem Schweigen zur Feuerwache zurück, ganz klein und friedlich geworden.« Beatty ließ Montags Handgelenk los, ließ die Hand schlaff auf den Tisch fallen. »Ende gut, alles gut.«
Schweigen. Montag saß da wie aus weißem Stein gehauen. Der Widerhall des letzten Hammerschlags auf den Schädel verlor sich allmählich in das Dunkel hinein, wo Faber darauf wartete, bis alles wieder still war, und dann sachte begann: »Gut, er hat gesagt, was er zu sagen hatte. Sie müssen es verarbeiten. Ich werde auch sagen, was ich zu sagen habe, in den nächsten paar Stunden. Und Sie werden es verarbeiten und beides miteinander vergleichen und dann Ihren Entscheid treffen, in welche Richtung Sie sich schlagen wollen. Es soll aber Ihr Entscheid sein, nicht der meine, und nicht derjenige des Hauptmanns. Bedenken Sie indessen, daß der Hauptmann zu den gefährlichsten Feinden der Wahrheit und Freiheit gehört, zu der dichtgedrängt
Weitere Kostenlose Bücher