Fahrenheit 451
andere fühlte sich an wie Stück Holz, das er mitschleppen mußte, um irgendeine dunkle Schuld abzubüßen. Als er sein Gewicht darauf verlagerte, schoß es ihm wie ein Schauer von Silbernadeln die Wade herauf und zum Knie heraus. Tränen traten ihm in die Augen. Komm schon, komm, hier kannst du nicht bleiben!
Ein paar Fenster wurden wieder hell die Straße entlang, ob infolge der Geschehnisse von vorhin oder wegen der auffälligen Stille nachher, war schwer zu sagen. Montag humpelte um die Trümmerstätte herum, griff nach dem Bein, wenn es hintennach schleppte, redete und wimmerte und schrie ihm Befehle zu und verfluchte es und flehte es an, ihm doch gerade jetzt den Dienst nicht zu versagen, wo es lebenswichtig war. Im Dunkel hörte er ein paar Leute schreien und rufen. Mühsam gelangte er hinters Haus und auf das Seitengäßchen. Beatty, dachte er, du bist jetzt kein beschwerlicher Fall mehr. Du hast immer gesagt, setz dich mit einem Fall nicht auseinander, verbrenne ihn, nun habe ich beides zugleich getan. Lebwohl, Hauptmann Beatty.
Und er stolperte im Dunkeln das Gäßchen entlang.
Jedesmal, wenn er den Fuß aufsetzte, zuckte es ihn wie ein Schrotschuß durch das Bein, und er dachte, du bist ein Trottel, ein verfluchter, ein Trottel bist du, ein Riesentrottel, ein dreimal vermaledeiter Riesentrottel; in ein schönes Schlamassel bist du da geraten, und wie kommst du wieder 'raus, ein schönes Schlamassel, und was willst du jetzt anfangen? Hochmut, verdammt noch mal, und ein aufbrausendes Wesen, und alles hast du verdorben, schon ganz am Anfang hast du alles verdorben, und dich selber dazu. Es kam aber auch alles auf einmal, alles Schlag auf Schlag, Beatty, die Nachbarinnen, Mildred, Clarisse, alles. Keine Entschuldigung zwar, keine Entschuldigung. Trottel, du verdammter, geh und stell dich der Polizei!
Nein, ich will retten, was zu retten ist, will tun, was zu tun übrig bleibt. Wenn ich schon auf den Scheiterhaufen muß, sollen wenigstens noch ein paar andere dran glauben. Augenblick mal!
Die Bücher fielen ihm ein, und er kehrte um, aufs Geratewohl.
Tatsächlich fand er noch ein paar Bücher, wo er sie versteckt hatte, beim Gartenzaun. Einige waren Mildred gottlob entgangen; vier Bücher fanden sich noch im Versteck. Gleichzeitig hörte er Stimmen in der Nacht, Jammergeschrei, und sah Lichtkegel kreisen. Mehrere Salamander donnerten von fern heran, und Polizeiwagen preschten heulend durch die Stadt.
Montag nahm die vier Bücher an sich und humpelte das Gäßchen entlang und fiel plötzlich hin, wie enthauptet, als läge nur sein Rumpf da. Etwas hatte ihn innerlich mit einem Ruck angehalten und zu Fall gebracht. Er blieb liegen, wo es ihn hingeschlagen hatte, und schluchzte, das Gesicht achtlos in den Kies gepreßt.
Beatty wollte sterben.
Mitten im Weinen kam Montag die Erkenntnis, daß es sich so verhielt. Beatty hatte sterben wollen. Er hatte einfach dort gestanden, ohne einen ernstlichen Rettungsversuch zu machen, hatte dort gestanden, witzelnd, stichelnd, dachte Montag, und der Gedanke genügte, um sein Schluchzen zu ersticken und ihn verschnaufen zu lassen. Wie seltsam, so sehr sterben zu wollen, daß man einen andern bewaffnet herumlaufen läßt und dann, statt den Mund zu halten, ihn weiterhin anbrüllt und verhöhnt, bis man ihn richtig in Wut versetzt hat, und dann ...
In einiger Entfernung eilige Schritte.
Montag richtete sich auf. Los, steh auf, steh auf, du kannst doch nicht hier hocken bleiben. Aber er mußte sich erst ausweinen. Es war schon nicht mehr so arg. Er hatte niemand umbringen wollen, nicht einmal Beatty. Der Gedanke an Beatty jagte ihm einen Schauder über die Haut. Deutlich sah er Beatty vor sich, eine Fackel, und biß sich auf die Knöchel. Verzeih mir, verzeih mir, o Gott, verzeih mir!
Er suchte es sich zusammenzureimen, suchte sich seinen Tageslauf noch vor kurzem zu vergegenwärtigen, ehe das Sieb und der Sand gekommen waren, Zanders Zahnpasta, Mückenstimmen im Ohr, Leuchtkäferschwärme, Alarm und Ausrücken, zu viel für ein paar kurze Tage, zu viel für ein ganzes Leben.
Eilige Schritte am andern Ende des Gäßchens.
Steh auf, herrschte er sich selber an. Verdammt noch mal, steh auf, herrschte er sein Bein an und stand da. Ihm war, als würden ihm große Nägel in die Kniescheibe geschlagen, dann waren es nur noch Drahtstifte und dann gewöhnliche Stecknadeln, und nachdem er sich humpelnd fünfzig Schritte weitergeschleppt hatte, die Hände voller Splitter
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