Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
vom Bretterzaun, war es nur noch, als würde das Bein mit brühheißem Wasser bestäubt. Und das Bein war endlich wieder sein eigenes, er hatte es sich beim Laufen nicht gebrochen, wie er befürchtet hatte. Jetzt saugte er die Nacht ganz in den offenen Mund und hauchte sie wieder aus, wobei die Finsternis wie ein Klumpen in ihm zurückblieb, und so begann er dann stetig fürbaß zu humpeln, die Bücher in der Hand.
    Faber kam ihm in den Sinn.
    Faber war dort hinten in der unkenntlichen Masse, die keinen Namen mehr trug. Er hatte Faber mitverbrannt. Dies gab ihm einen solchen Stich, daß er vermeinte, Faber sei wirklich tot, wie ein Käfer verkohlt in der kleinen grünen Kapsel, in der Tasche eines Menschen, der jetzt nur noch ein Gerippe war, von teerigen Sehnen zusammengehalten.
    Du darfst nicht vergessen, verbrenne sie oder sie verbrennen dich, dachte er. So einfach war das jetzt.
    Er kramte in seinen Taschen, das Geld war noch da, und in einer andern Tasche fand er die gewöhnliche Funkmuschel, mittels derer die Stadt in der kalten finsteren Frühe mit sich selber sprach.
    »Polizeimeldung. Fahndung nach einem Flüchtigen in der Stadt. Hat Mord und Verbrechen gegen den Staat begangen. Name: Guy Montag. Beruf: Feuerwehrmann. Zuletzt gesehen ...«
    Er setzte sich in Trab und lief, bis der Fußweg in eine breite, menschenleere Straße ausmündete. Sie wirkte wie ein Strom ohne Schiffsverkehr im gleißenden weißen Licht der Bogenlampen hoch oben; man konnte ertrunken beim Versuch, sie zu überqueren. Zu breit, zu offen lag sie da, eine gewaltige Bühne ohne Kulissen, über die er laufen sollte, leicht zu sichten bei der theatralischen Beleuchtung, leicht zu fangen, leicht zu töten.
    Im Ohr das Summen der Muschel.
    »... Ausschau nach einem Mann, der läuft ... haltet Ausschau nach dem Davonlaufenden ... nach einem Alleingänger zu Fuß ... haltet Ausschau ...«
    Montag drückte sich in den Schatten. Etwas weiter vorn stand eine Tankstelle, ein mächtiges Stück weißen, schimmernden Porzellans, an der eben zwei Wagen hielten. Er mußte sauber und unauffällig wirken, wenn er über die Straße gehen, nicht rennen, wenn er ruhig hinüberschlendern wollte. Es würde seine Sicherheit steigern, wenn er sich wusch und kämmte, ehe er sich auf den Weg machte – wohin?
    Ja, dachte er, wohin laufe ich eigentlich?
    Nirgendshin. Er konnte nirgends hin, hatte keinen Freund, an den er sich wenden konnte. Keinen außer Faber, und er wurde inne, daß er auf dem Weg zu Faber war, ganz unwillkürlich. Verstecken konnte ihn allerdings auch Faber nicht, es wäre der reine Selbstmord, auch nur daran zu denken. Aber sehen wollte er Faber wenigstens, wenn auch nur für ein paar Minuten. Nur bei Faber konnte er seinen Selbsterhaltungstrieb, der ihm immer mehr abhanden kam, wieder auftanken. Er wollte sich vergewissern, daß es einen Menschen wie Faber überhaupt gab. Er wollte sehen, daß er noch am Leben war, nicht verkohlt dort hinter ihm, eingekapselt in einen andern Leib. Und einen Teil des Geldes mußte er ihm natürlich hinterlassen, ehe er die Flucht fortsetzte. Vielleicht gelang es ihm, aufs Land hinauszukommen, um auf oder an Flüssen, in der Nähe der Landstraßen, in Wald und Feld sein Leben zu fristen.
    Ein Schwirren in der Luft ließ ihn zum Nachthimmel emporschauen.
    In der Ferne stiegen die Polizeihubschrauber auf, so weit weg, daß es aussah, als hätte jemand die Schirmchen von einem verblühten Löwenzahn weggepustet. Zwei Dutzend schwebten unschlüssig in der Luft, fünf Kilometer entfernt, ratlos wie Schmetterlinge im Herbst, und dann setzten sie zur Landung an, einer nach dem andern, da, dort, ließen sich sachte auf die Straße nieder, wo sie, in Fahrzeuge zurückverwandelt, dahinheulten, um sich dann ebenso plötzlich wieder emporzuschwingen und die Suche fortzusetzen.
    Und da stand also die Tankstelle, deren Bedienung gerade mit der Kundschaft zu tun hatte. Von der Rückseite her betrat Montag die Toilette. Eine Stimme im Rundfunk nebenan sagte: »Es ist zur Kriegserklärung gekommen.« Draußen wurde Benzin gepumpt. Die Leute sprachen mit dem Tankwart von den Motoren, dem Benzin, der Bezahlung. Montag versuchte sich klarzumachen, was die beiläufige Rundfunkansage bedeutete, aber er brachte kein Gefühl dafür auf. Was ihn anbetraf, mußte der Krieg sich noch eine Stunde oder zwei gedulden, bis er sich damit abgeben konnte.
    Er wusch sich Hände und Gesicht und trocknete sie ab, ohne viel Geräusch zu machen.

Weitere Kostenlose Bücher