Fahrenheit 451
Vögeln zuschaue und Schmetterlinge sammle. Ich zeige Ihnen dann mal meine Sammlung.«
»Schön.«
»Man will herauskriegen, was ich mit meiner ganzen Zeit anfange. Ich sage den Leuten, daß ich manchmal bloß dasitze und nachdenke. Aber worüber, das erzähle ich ihnen nicht. Ich lasse sie zappeln. Und manchmal, sage ich, werfe ich den Kopf zurück, so, und lasse mir in den Mund hineinregnen. Schmeckt wie Wein. Haben Sie es je versucht?«
»Nein, ich ...«
»Sie haben mir doch verziehen?«
»Gewiß.« Er dachte nach. »Doch, ich habe dir verziehen. Weiß Gott warum. Du bist ein eigentümliches Wesen, ein befremdliches, aber man verzeiht dir leicht. Siebzehn bist du, hast du gesagt?«
»Ja, das heißt nächsten Monat.«
»Merkwürdig. Unbegreiflich. Meine Frau ist dreißig, und doch kommst du mir manchmal viel älter vor. Ich werd' nicht schlau draus.«
»Sie sind selber ein sonderbarer Kauz, Herr Montag. Bisweilen vergesse ich sogar, daß Sie bei der Feuerwehr sind. Darf ich Sie jetzt nochmals ärgern?«
»Nur zu.«
»Wie hat es angefangen? Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen? Zu Ihrem Beruf, meine ich. Sie sind nicht wie die andern. Ich kenne einige, ich weiß Bescheid. Wenn ich spreche, sehen Sie mich an. Als ich etwas vom Mond sagte, gestern nacht, haben Sie zum Mond aufgeschaut. Das würden die andern nie tun. Die würden weglaufen und mich reden lassen. Oder sie würden mir drohen. Die Menschen haben keine Zeit mehr füreinander. Sie sind einer der wenigen, die mich dulden. Deshalb finde ich es so merkwürdig, daß Sie bei der Feuerwehr sind. Es paßt einfach nicht zu Ihnen.«
Er spürte, wie er sich innerlich in eine Kälte und eine Wärme schied, eine Weichheit und eine Härte, ein Beben und ein Nicht-Beben, und die beiden Hälften rieben sich knirschend aneinander.
»Lauf jetzt lieber zu deiner Verabredung«, sagte er.
Und Clarisse lief weg und ließ ihn dort im Regen stehen. Erst nach geraumer Weile setzte er sich in Bewegung.
Und dann, im Gehen, kippte er den Kopf ganz bedächtig nach hinten, in den Regen, nur für kurze Zeit, und tat den Mund auf ...
Der Mechanische Hund schlief und schlief doch nicht, lebte und lebte doch nicht, in seiner sachte summenden, sachte vibrierenden, sanft erhellten Hütte in einem dunklen Winkel der Feuerwache. Das Zwielicht der nachmitternächtlichen Stunde, der Mondschein, der vom klaren Himmel her gerahmt durch die großen Fenster fiel, ließ da und dort das Messing und das Kupfer und den Stahl des leise bebenden Tieres aufleuchten, glomm in rubinrotem Glas und schimmerte auf den feinen hochempfindlichen Härchen der Nüstern mit ihren Nylonpinseln. Ständig lief ein kaum wahrnehmbares Zittern durch die Kreatur, die auf acht Spinnenbeinen stand, mit gummigepolsterten Pfoten.
Montag rutschte die Messingstange hinunter und ging hinaus auf die Straße. Die Wolken hatten sich gänzlich verzogen. Er steckte sich eine Zigarette an und kam wieder herein, um sich zu dem Tier zu bücken und es zu betrachten. Es wirkte wie eine Riesenbiene, zurück von einer Wiese, wo der Honig voll tödlicher Wildheit ist, voller Wahnsinn und böser Träume; es hatte sich mit der scharfen Labe gesättigt und schlief nun das Böse aus.
»Na«, sagte Montag, wie immer fasziniert von dem toten Tier, das doch lebte.
Nachts, wenn es langweilig wurde, was jede Nacht der Fall war, glitten die Feuerwehrleute die Stangen hinunter und stellten das tickende Geheimschloß im Riecher des Spürhundes ein und ließen auf dem Vorplatz Ratten los und manchmal auch Hühner oder ein Kätzchen, das ohnehin ertränkt werden mußte, und dann wurden Wetten abgeschlossen, welche der Ratten oder Hühner oder Katzen der Hund zuerst erwischen werde. Hatte man die Tiere losgelassen, war dreißig Sekunden später das Spiel auch schon aus; ehe die Ratte oder Henne ganz über den Vorplatz gekommen war, hielt der Hund sie zwischen weichen Pfoten, während aus seiner Schnauze eine zehn Zentimeter lange Hohlnadel hervorstieß und dem Opfer eine kräftige Dosis Morphium oder Prokain einspritzte. Die Kadaver wurden dann in den Einäscherungsofen geworfen; ein neues Spiel konnte beginnen.
Montag blieb meistens oben, wenn sich das zutrug. Noch vor zwei Jahren hatte er mit den andern drauflos gewettet, hatte einen Wochenlohn verspielt und Mildreds wahnsinnige Wut über sich ergehen lassen, bei der ihr die Adern anschwollen und die Haut ganz fleckig wurde. Jetzt hingegen lag er nachts in seiner Koje, mit dem
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