Fahrt zur Hölle
und den Kindern berichten.
Lüder schmunzelte in sich hinein und schloss für einen Moment die Augen. Deutlich sah er den kräftigen Mann, der nur wenige Kilometer entfernt an seinem Schreibtisch mit Blick auf die Kieler Förde saß, sich vermutlich mit der Hand durch den dichten Vollbart strich, während ihm eine Strähne des schlohweißen Haares in die Stirn fiel.
Als der Ministerpräsident sein Amt antrat, hielten ihn viele für eine Übergangs- oder gar Notlösung. Er hatte viel Spott ertragen müssen, sich aber politisch in schwierigen Zeiten als der richtige Mann am richtigen Platz erwiesen. Insbesondere seine Art, auf die Menschen zuzugehen, ihnen zu zeigen, dass er einer von ihnen war, hatte ihm viele Sympathien eingebracht. Es störte ihn auch nicht, dass er im Stil eines echten Landesvaters von den Bürgern fast immer mit seinen beiden Vornamen genannt wurde.
Lüder hatte ihn während seiner Zeit beim Personenschutz persönlich kennen- und schätzen gelernt und danach einige Spezialaufträge ausgeführt, an deren Lösung der Regierungschef ein besonderes Interesse hatte.
»Wir haben einen Todesfall, der uns derzeit noch Rätsel aufgibt«, sagte Lüder und erläuterte in wenigen Worten die Fakten, die bisher bekannt waren. »Wenn es sich wirklich um einen amerikanischen Staatsbürger handelt, wäre es sinnvoll, wenn wir vom LKA einen Blick auf den Fall werfen. Ich erinnere an frühere Ereignisse, bei denen die Zusammenarbeit mit den Amerikanern nicht sehr erfreulich war. Wenn wir Sensibilität walten lassen, machen wir bestimmt nichts falsch.«
Ein dröhnendes Lachen drang aus dem Hörer. »Ich frage mich immer wieder, Herr Dr. Lüders, warum Sie mit Ihrer Art zu argumentieren Beamter geblieben und nicht in die politische Laufbahn eingestiegen sind.«
Lüder unterdrückte die Antwort, dass er Politik in vielen Fällen für ein schmutziges Geschäft hielt. Aber der Ministerpräsident fragte nicht nach und wollte keine weiteren Erklärungen hören.
»Ihr Dingsbums …«, sagte der Regierungschef.
»Richtig«, bestätigte Lüder. »Der Dingsbums, Kriminaldirektor Dr. Hemmschuh.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte der Ministerpräsident. »Übrigens, wenn ich demnächst in Pension gehe, müssen Sie mich mit Ihrer Familie einmal besuchen. Mich, meine Frau und meine Bienen. Den Weg kennen Sie ja, mitten im Wald …«
Lüder versprach es. Als er aufgelegt hatte, dachte er mit einem Hauch Wehmut, dass es für ihn eine andere, sicher nicht bessere Zeit geben würde, wenn der Regierungschef nicht mehr im Amt wäre. Er würde den Ministerpräsidenten vermissen. Und wahrscheinlich ging es vielen Bürgern im Land ebenso.
Lüder besorgte sich einen Becher Kaffee. Den hatte er noch nicht ausgetrunken, als Edith Beyer anrief und ihn zum Abteilungsleiter bestellte.
Lüder verzichtete aufs Anklopfen und blieb im Türrahmen stehen. Dr. Starke thronte hinter dem Schreibtisch. Das sonst fast arrogant wirkende Lächeln war einem zornigen Gesichtsausdruck gewichen, die Bräune hatte sich in ein Puterrot verwandelt. Der Kriminaldirektor bewegte drohend den Zeigefinger hin und her.
»Herr Lüders«, sagte er wutschnaubend, »ich habe Ihnen oft gesagt, dass Sie den Bogen maßlos überspannen. Heute sind Sie entschieden zu weit gegangen. Das wird Konsequenzen für Sie haben.«
Lüder wippte leicht auf den Zehenspitzen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er zog es aber vor, dem Abteilungsleiter nichts zu entgegnen.
»Ich glaube, Ihnen hinreichend klargemacht zu haben, dass ich«, dabei tippte sich Dr. Starke auf die Brust, »ich ganz allein die Entscheidungen treffe, wie diese Abteilung arbeitet und in welchen Fällen sie tätig wird.«
Lüder sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Sie wollen mit mir eine Diskussion über die Grundsätze der Arbeit des LKA führen, oder?«
»Herr Lüders …« Der Kriminaldirektor brach mitten im Satz ab. »Sie fahren jetzt nach Rendsburg und eruieren vor Ort, was dort passiert ist. Danach kehren Sie unverzüglich zur Dienststelle zurück und erstatten mir Bericht. Mir persönlich. Ist das klar?«
Lüder tat erstaunt. »Ach. Liegt jetzt doch ein Amtshilfeersuchen vor?«
Dr. Starke holte tief Luft, vermied es aber zu antworten.
»Ich werde mich auf den Weg machen«, erklärte Lüder und schloss die Tür.
Edith Beyer, der kein Wort des Dialogs entgangen war, drehte die Hand im Gelenk und murmelte leise: »Oweia.« Dann hielt sie sich mit der Hand den Mund zu.
Lüder
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