Fahrt zur Hölle
trat dicht an sie heran. »Wissen Sie, wo in diesem Haus der Defibrillator angebracht ist?«
Die junge Frau legte ihre Hand aufs Herz und wies mit dem Zeigefinger der anderen auf die Tür. »Braucht er den?«
Lüder nickte. »Hoffentlich«, flüsterte er und kehrte in sein Büro zurück.
Auf dem Flur begegneten ihm zwei Kollegen, die ihm verwundert hinterhersahen, als er sie fröhlich pfeifend passierte. Im Büro suchte er die Anschrift des Wasser- und Schifffahrtsamtes Kiel-Holtenau heraus und erfuhr, dass für die Schwebefähre der Außenbezirk Rendsburg zuständig sei. Man half ihm mit der Durchwahlnummer, und kurz darauf war er mit Herrn Thomsen verbunden, der sich sofort bereit erklärte, Lüder an der Fähre zu empfangen und ihm mit Auskünften behilflich zu sein.
Wenig später verließ er mit seinem BMW den Eichhof, fuhr über die »Stadtautobahn« zum Anschluss der Autobahn Richtung Hamburg und bog sofort wieder Richtung Rendsburg ab. Die A 210 hatte keinen Randstreifen. Deshalb gab es auf der nur mäßig frequentierten Straße eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Zur Erheiterung seiner Familie nannte Lüder dieses Straßenstück stets »Billigautobahn«. Obwohl er sich selbst auch nicht an das Tempolimit hielt, wurde er ständig überholt. Ob die Kollegen der zentralen Verkehrsüberwachung aus Neumünster dieses Straßenstück kannten? Sicher, dachte Lüder.
Am Kreuz Rendsburg unterquerte er die Autobahn Richtung Dänemark und hatte kurz darauf sein Ziel am südlichen Kanalufer erreicht.
Dort, wo die Schranke die Weiterfahrt auf die Fähre versperrte, fand er neben der Straße eine Parkmöglichkeit.
Am Fähranleger wartete ein Mann mit hochgeschlagenem Kragen und Schirmmütze. Er musterte Lüder, nickte kurz und kam ihm entgegen.
»Sind Sie aus Kiel?«
Lüder reichte ihm die Hand. »Lüders.«
»Thomsen.« Es war ein kräftiger Händedruck.
Der Betriebsleiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung trug eine Warnweste in leuchtendem Rot-Orange. Er hatte sich in dem kleinen Wartehäuschen untergestellt, dessen Baustil deutlich die Herkunft aus den Anfängen des Fährbetriebs bekundete.
»Schietwetter«, sagte Thomsen. »Und dann so was.«
»Straftäter nehmen selten Rücksicht auf das Wetter«, erwiderte Lüder und suchte ebenfalls in dem kleinen Wartesaal Schutz vor dem Regen.
Schweigend warteten sie, bis die Fähre heranschwebte, andockte und ihre Last entladen war.
»Erzählen Sie mir etwas über die Fähre«, bat Lüder. Er wollte sich ein umfassendes Bild machen und verstehen, warum sich der oder die Täter diesen Ort ausgesucht hatten.
»Die Schwebefähre ist rechtlich kein Schiff, sondern eine Art ›Seilbahn‹. Deshalb muss der Schwebefährenführer«, Thomsen schmunzelte, »er heißt wirklich so, im Unterschied zu den anderen dreizehn Fähren am Kanal, kein nautisches Patent haben. Außerdem betreiben wir die Schwebefähre im Ein-Mann-Betrieb. Bis auf die Fähre in Breiholz haben alle anderen Fähren eine Zwei-Mann-Besatzung, neben dem Schiffsführer noch den Decksmann. Das ist vorgeschrieben, damit die Fähren auch bei Rettungseinsätzen eingesetzt werden können. Erst vor Kurzem gab es eine spektakuläre Aktion bei der Havarie mit dem polnischen Frachter.«
»Das ist kostspielig«, warf Lüder ein.
»Ja«, stimmte Thomsen zu. »Weil der Kanal aber eine Bundeswasserstraße ist, werden die etwa fünf Millionen Menschen pro Jahr kostenlos befördert.«
»Fünf Millionen? In Rendsburg?«, staunte Lüder.
Thomsen lachte. »Nein, insgesamt. Diese hier dient hauptsächlich der Schülerbeförderung, den Fußgängern und ist natürlich eine touristische Attraktion. Der Autotransport spielt eine untergeordnete Rolle.«
Jetzt hat die Fähre eine weitere Funktion erhalten, dachte Lüder. Sie ist als Mordwerkzeug missbraucht worden.
»Gibt es einen Vierundzwanzig-Stunden-Betrieb?«, fragte Lüder.
»Nein. Die Fähre nimmt um fünf Uhr früh vom südlichen Ufer aus, also hier von Osterrönfeld, den Betrieb auf. Sie fährt bis dreiundzwanzig Uhr, ab November im Winterbetrieb nur bis zweiundzwanzig Uhr, alle Viertelstunde nach Fahrplan, der natürlich abweichen kann, abhängig vom Verkehr auf dem Kanal. Wenn dort ein dicker Pott entlangläuft, muss die Fähre darauf Rücksicht nehmen und warten.«
Dann ist das Opfer nach zweiundzwanzig Uhr und vor fünf Uhr angebunden worden, überlegte Lüder. Die Tatausführung war in diesem Fall eine ganz andere, trotzdem gab es Parallelen zu dem
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