Fahrt zur Hölle
vereinbarte er mit Hauptkommissar Herdejürgens, dass sie sich gegenseitig über den aktuellen Stand der Ermittlungen informieren würden. Er wusste, dass die Ermittlungen im Mordfall bei den Flensburgern in guten Händen waren.
Im Landeskriminalamt suchte er das Geschäftszimmer auf, wechselte ein paar Worte mit Edith Beyer, füllte seinen Kaffeebecher und klopfte an der Verbindungstür zum Arbeitsraum des Abteilungsleiters an. Er wartete nicht auf die Aufforderung, einzutreten.
Dr. Starke sah auf, erhob sich und umrundete seinen Schreibtisch. Er kam Lüder entgegen.
»Mein lieber Herr Lüders. Das war Gedankenübertragung. Ich wollte gerade nachfragen, ob Sie schon aus Flensburg zurück sind. Nehmen Sie bitte Platz.« Er sah auf Lüders Kaffeebecher. »Das war doch nicht nötig. Frau Beyer hätte uns einen Kaffee gebracht.«
Lüder ließ sich auf einem der Besucherstühle nieder und verzichtete auf eine Antwort. Er berichtete von seinem Aufenthalt an der Flensburger Förde.
Dr. Starke wiegte den Kopf. »Das ist wirklich merkwürdig. Ich stimme Ihnen zu, dass es einen Zusammenhang zu geben scheint.«
»Davon bin ich überzeugt. Die ganze Sache ist ohnehin sehr dubios. Ich habe noch keine Antwort darauf gefunden, weshalb sich die Regierungsspitze in Berlin für diesen Fall interessiert.«
»Das ist erklärbar«, erwiderte der Kriminaldirektor. Er nahm eine Körperhaltung ein, die Lüder missfiel. Es wirkte, als würde er einem Kind etwas von oben herab erklären. »Es gibt eine starke Verunsicherung in der Wirtschaft, wenn die Handelswege nicht mehr sicher sind.«
»Es ist nicht die erste Schiffsentführung«, gab Lüder zu bedenken. »Natürlich ist die mediale Aufmerksamkeit groß. Dann wird alles diskret abgewickelt. Die Reederei zahlt, und das Schiff ist frei. Natürlich schmerzt es auch die großen Reedereien. In diesem Fall kann das Lösegeld aber vermutlich nicht aufgebracht werden. Das geht durch die Presse. Was wird aus den Geiseln? Wir dürfen die Menschen nicht vergessen, die sich in den Händen erbarmungsloser Kidnapper befinden.«
»Die Entführung der ›Holstenexpress‹ schlägt höhere Wellen als in anderen Fällen, mein lieber Lüders. Das werden Sie schon bemerkt haben. Es ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wenn sich keine Lösung findet, zieht das weite Kreise. Für die Bundesrepublik, aber auch für Schleswig-Holstein. Wir sind eine der führenden Handels- und Exportnationen. Sie können sich selbst ausmalen, was es bedeutet, wenn das Vertrauen in unsere Leistungsfähigkeit, vor allem aber in unsere Handlungsfähigkeit gestört ist.«
»Deutschland hat hinreichend Möglichkeiten, sich zu wehren«, entgegnete Lüder. »Wir haben eine schlagkräftige Bundespolizei, es gäbe die Möglichkeit der militärischen Intervention, oder der Bund übernimmt die Lösegeldzahlung.«
»Das ist politisch alles nicht machbar«, widersprach Dr. Starke. Es widerstrebte Lüder, dem Kriminaldirektor zuzustimmen, obwohl der recht hatte.
»Die Optionen, die Sie aufgezählt haben, sind in Berlin politisch nicht durchsetzbar. Dem steht die Opposition entgegen. Außerdem ist es stets deutsche Politik gewesen, vorsichtig und mit Augenmaß zu agieren. Die ganze Welt, auch befreundete Staaten, würden über uns herfallen, wenn wir überreagieren würden. Sie kennen das Gerede, dass die Piraten nur aus der Not heraus so agieren.«
Lüder erinnerte sich an Pressemeldungen, dass ein in Hamburg vor Gericht stehender Kidnapper behauptete, ohne seine Beteiligung an den Überfällen hätte er das Geld für die lebensnotwendige Behandlung seines Sohnes nicht aufbringen können. Mit solchen Aussagen wurde Mitleid geweckt und um Verständnis für die kriminellen Handlungen geworben.
»Alle Verantwortlichen sind sich einig, dass nur stille Diplomatie weiterhilft. Deshalb gibt es nur eine Lösung: Jemand muss die Lage sondieren.«
»In Somalia?«, fragte Lüder erstaunt.
Dr. Starke schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Nein, man glaubt, dass die Fäden im benachbarten Kenia zusammenlaufen.«
»Dann soll Berlin jemanden dorthin schicken.«
»Genau diese Idee hat der Krisenstab ja auch entwickelt. Offiziell ist das nicht möglich. Die jungen afrikanischen Staaten sind zu stolz, um eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten zu dulden. Sie empfinden das bis heute als postkoloniales Handeln der Europäer. Deshalb sollte die Mission inoffiziell erfolgen.«
Lüder
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