Fahrt zur Hölle
konnten, haben sie angefangen, das Geld selbst zu drucken. Die Leute haben einfach mit selbst gemachtem Geld bezahlt, sodass die Händler schließlich keine Somalia-Schillinge mehr angenommen haben. Die Währung ist verfallen. Das klingt fast komisch, wenn darin nicht auch hochrangige Politiker mit verwickelt wären.«
»Und mittendrin haben Sie das Problem mit den Piraten.«
»Ich weiß, es wirkt so, als würden wir uns darum nicht kümmern.« Er breitete die Arme aus. »Aber wie sollen wir dem begegnen? Wenn wir die wenigen Sicherheitskräfte, über die wir verfügen, auf den weiten Weg durch die somalische Wüste schicken, haben wir es mit einem Gegner zu tun, der über neueste Waffen verfügt und gut ausgerüstet ist. Unsere Soldaten und Polizisten werden schlecht bezahlt, wenn überhaupt. Plötzlich sehen sie, was die Piraten an ihren Taten verdienen.«
»Wird das große Geld nicht woandershin gelenkt?«
»Ja«, sagte Shiikh versonnen. »Die erpressten Lösegelder fließen nach London oder sonst wohin. Es gibt mittlerweile fast eine Piratenindustrie. Die Auftraggeber finanzieren die Überfälle vor und stecken hinterher den Großteil der Beute ein. Rechnen Sie das einmal durch, nur modellhaft, ohne dass ich exakte Zahlen kenne. Niemand spricht darüber. Es ist ein großes Geheimnis. Gehen Sie davon aus, dass für ein Schiff …«
»… und die Besatzung«, warf Lüder ein.
Shiikh winkte ab. »Die zählt nicht. Für ein Schiff wird ein Lösegeld von zehn bis fünfzehn Millionen Euro gezahlt. Wenn fünfzig Männer an einem Überfall beteiligt sind und sie jedem – rein rechnerisch – die unvorstellbare Summe von fünftausend Euro zahlen, bleiben den Hintermännern pro Schiff über vierzehn Millionen Euro. Risikolos. Und die Piraten vor Ort profitieren auch. Das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa siebenhundert Euro – pro Jahr. Davon sind die Fischer an der Küste weit entfernt. Für einen einzigen Überfall erhalten die Leute den Gegenwert für zehn Jahre Arbeit. Muss man mehr erklären?«
Den Minister störte es nicht, dass Lüder ihn zwischendurch aus verschiedenen Positionen fotografierte.
»Es ist eine politische Grundsatzfrage, weshalb man die Regierung von Puntland nicht in die Lage versetzt, mit den Piraten aus eigener Kraft fertigzuwerden.«
Lüder unterließ es zu erwidern, dass verantwortungsbewusste westliche Politiker es vermieden, Waffen in Konfliktzonen zu liefern. Es traf auch nur bedingt zu. Außerdem bezweifelte er, dass die Puntländer mit weiteren Waffen tatsächlich gegen die Piraten vorgehen würden. Niemand garantierte, dass die Waffen nicht gegen die Nachbarn in Somaliland eingesetzt würden. Oder korrupte Puntländer würden sie an die Piraten verkaufen. Schließlich könnte sich europäische Waffenhilfe im schlimmsten Fall gegen die eigenen Handelsschiffe richten.
»Sie sind aber über die Aktivitäten der Piraten informiert?«, fragte Lüder.
»Auch hier kann man das Weltgeschehen in den Medien verfolgen«, erwiderte Shiikh ausweichend.
»Im vorliegenden Fall scheinen manche Dinge anders zu laufen«, sagte Lüder. »Die Piraten üben ihre Taten im Allgemeinen von Eyl oder Hobyo aus. Die ›Holstenexpress‹ wird aber viel weiter im Norden gefangen gehalten.«
Der Minister sah Lüder nachdenklich an. »Darüber habe ich mich auch gewundert. Dort oben im Nordosten ist nichts. Fast menschenleeres Gebiet. Unwirtlich. Lebensfeindlich. Die somalische Wüste am Horn von Afrika ist kaum erforscht. Dort gibt es nichts.«
»Außer Piraten«, sagte Lüder.
Der Minister wiederholte nachdenklich: »Außer Piraten. Sonst nichts.«
»Können Sie sich vorstellen, dass die Drahtzieher in Puntland sitzen?«
»Ausgeschlossen.« Die Antwort kam viel zu schnell.
»Welche Kontakte haben Sie nach Europa?«
»Wie meinen Sie das?«
»Offizieller Art, zum Beispiel zu Regierungen oder regierungsnahen Institutionen?«
Shiikh zeigte auf Lüders Notebook. »Zu diesem Punkt sollten Sie Recherchen im eigenen Land anstellen.«
»In Berlin? Oder in Flensburg?«
Lüder bemerkte ein kurzes Aufblitzen in Shiikhs dunklen Augen. »Es wäre mir lieb, wenn Sie Ihre Fragen vorformulieren und meinem Büro einreichen würden«, sagte er schließlich entschlossen.
»Wissen Sie mehr von der ›Holstenexpress‹, als Sie zugeben wollen?«
Lüder überlegte, ob er das Thema »Ladung« ansprechen sollte, entschied sich aber dagegen. Er kannte weder Shiikhs Kenntnisstand noch dessen Rolle. Wenn der
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