Fahrt zur Hölle
und es schien auch im kleinen Rahmen ein geregelter Handel zu florieren.
Seine Begleitung fuhr ihn direkt zum Statehouse, einem eingeschossigen Prunkbau mit einem offenen umlaufenden Säulengang. Die Rundbögen verliehen dem Gebäude eine bescheidene Würde. Auch befanden sich dort Uniformierte, zum Teil bewaffnet, die sogar Dienstgradabzeichen trugen.
Lüder wurde mehrfach kontrolliert und sprach schließlich mit einem schlanken Dunkelhäutigen, der sich als Leutnant Hussein Heersare vorstellte.
Heersare bot Lüder einen Tee an, fragte nach dem Grund seines Besuchs und zeigte sich hilfsbereit, auch wenn er drei Stunden damit beschäftigt war, irgendwelche Kontakte herzustellen. Mehrfach entschuldigte er sich zwischendurch für die Unannehmlichkeiten, die das Verfahren mit sich brachte. Schließlich tauchten zwei stämmige Soldaten auf, durchsuchten Lüder, nahmen ihm die Pistole und die Munition ab, kontrollierten Kamera und Notebook und begleiteten ihn schließlich zum Innenminister.
Abdulla Shiikh mochte knapp über vierzig Jahre alt sein. Er trug eine modische Goldrandbrille, hinter der kluge Augen Lüder musterten. Der dunkelgraue Anzug, das blütenweiße Hemd und die exakt gebundene Krawatte hätten auch zu einem Manager eines westlichen Konzerns gepasst.
Shiikh sprach fast akzentfreies Englisch. Er schüttelte Lüder die Hand mit einer Herzlichkeit, als würde er nach langer Zeit einen lieben Freund wieder begrüßen.
»Sie sind Journalist aus Deutschland?«, fragte der Innenminister.
Als Lüder nickte, begann er ungefragt von der Situation der Provinz Puntland zu erzählen, von den Bemühungen der Provinzregierung, im Rahmen der Möglichkeiten das öffentliche Leben zu organisieren, die Infrastruktur aufzubauen, Schul- und Gesundheitswesen zu beleben.
»Das alles ist nicht einfach«, schloss er seinen Bericht. »Es mangelt an allem. Und internationale Unterstützung erhalten wir nicht. Einzig die Tatsache, dass man bei uns Erdölvorkommen vermutet, lenkt ein wenig Aufmerksamkeit auf Puntland. Und wenn wir Lizenzen vergeben, wirft man uns vor, wir wären dazu nicht berechtigt. Wovon soll das Ganze finanziert werden? Unsere Region ist fast so groß wie die alte Bundesrepublik. Wir vermuten, dass auf dieser Fläche zweieinhalb Millionen Menschen leben.« Als er Lüders skeptischen Blick sah, breitete er in einer hilflosen Geste die Arme aus. »Genau weiß das keiner. Und dann haben wir Probleme an verschiedenen Ecken. Im Süden stehen die Mudschahidin. Ein Teil Puntlands, Galmudug, hat sich von uns losgesagt und seinerseits für unabhängig erklärt. Im Nordwesten führen wir Krieg mit Somaliland, das auch zu Somalia gehört und sich ebenfalls für unabhängig erklärt hat.«
»Und an der Küste haben Sie das Problem Piraterie.«
Shiikh nickte bedächtig. »Darauf steht die Todesstrafe. Aber wie sollen wir das durchsetzen? Wir haben keine Sicherheitskräfte. Keine Polizei, keine ordentliche Armee, keine Küstenwache.«
Lüder erklärte, dass man sich in Deutschland Sorgen um die Sicherheit der Schifffahrt mache. »Das jüngste Beispiel ist die Entführung der ›Holstenexpress‹.«
Shiikh leugnete nicht, von der Tat zu wissen. »Bis Ashira sind es vierhundert Kilometer unwegsames Gelände. Wir haben keine Luftwaffe, keine Polizeihubschrauber, keine Marine, die wir gegen die Piraten einsetzen können. Man sollte verstehen, dass Somalia von Clans beherrscht wird. Das Land ist historisch unter Familien aufgeteilt. Natürlich gibt es Rivalitäten zwischen den Familien, die sich wiederum in Unterclans gliedern. Dort, wo unser Arm nicht hinreicht, wird die Macht von den Clanchefs ausgeübt. Ihr Wort ist Gesetz.« Shiikh zeigte auf Lüders Kamera. »Als ich hörte, dass ein deutscher Journalist zu uns kommt, war ich hocherfreut. Schreiben Sie von unseren Anstrengungen, davon, dass wir Hilfe brauchen. Wir wollen etwas bewegen. Für unsere Heimat.«
Lüder ließ dem Minister viel Zeit, von den Problemen seines Landes zu erzählen. Shiikh trug sein Anliegen mit großer Leidenschaft vor.
»Schreiben Sie darüber«, unterbrach er mehrfach seinen Vortrag. Plötzlich lachte er laut auf und streckte die Hand aus. Mit dem Zeigefinger wies er auf Lüder.
»Hier mangelt es an allem. Das schlägt sich auch in der Versorgung der Bevölkerung mit dem Nötigsten nieder. Die Preise für Nahrungsmittel steigen ins Unermessliche. Wissen Sie, warum? Not macht erfinderisch. Als die Leute die Preise nicht mehr bezahlen
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