Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Land natürlich egal, sie fanden es dort todlangweilig; schon bei der Hinfahrtschrie Karl, während Mina wortlos auf der Rückbank der Großraumlimousine saß und mit müden Augen auf das Display ihres Mobiltelefons oder in die vorbeiziehende Landschaft starrte.
Das Familienauto war ein weiteres Ding in seinem Leben, das er zutiefst hasste. Es war ein Volkswagen Touran, eine sogenannte kompakte Großraumlimousine. Es sah aus wie ein demolierter Toaster auf Rädern, trug eine absurde Chrommaske über der vorderen Stoßstange und hatte sieben Sitze. Sie waren zu viert, plus ein Hund, und es war ihm nicht erklärlich, warum sie für vier Personen und einen Hund sieben Sitze brauchten, zumal der Hund grundsätzlich nicht auf Autositzen Platz nahm und deswegen in den lächerlich kleinen Restkofferraum gezwängt werden musste, während Objekte, die normalerweise in einen Kofferraum gehörten – das Kinderfahrrad, ein toskanischer Blumentopf, Einkaufstüten –, auf die freien Sitze geschnallt wurden, von wo aus sie in der erstbesten Kurve auf den Hund stürzten.
Sie hatten sich oft über den Volkswagen gestritten, so oft, bis er sich schließlich den Mercedes gekauft hatte, und deswegen hatte es wieder Streit gegeben. Es war nicht so, dass sie nicht gern, wie in ihren jüngeren und wilderen Tagen, wieder eine alte Alfa Giulia gefahren hätte, aber es machte sie ratlos, dass er sein restliches Geld für ein Objekt ausgab, das so unübersehbar inkompatibel mit dem Dasein einer jungen Kleinfamilie war, schlimmer noch, die Existenz dieser Familie gegenüber der Außenwelt rundheraus verleugnete. Außerdem hätte sie das Geld lieber für eine Afrikareise genommen. Sie wollte immer schon einmal echte Löwen sehen, während er nichts von Safaris hielt; so ein Löwe, hatte er gesagt, sei entweder enttäuschend weit weg oder bedrohlich nah dran, genießen könne man es in beiden Fällen nicht.
Er hatte also den alten Mercedes gekauft. Er wollte den Wagen neu lackieren lassen, und er hatte sich darauf gefreut, wie gut Simone am Steuer dieses Wagens aussehen würde; andere Frauen wären, sagte er, doch froh, ästhetisch nicht noch weiter in die Mutterrolle gedrängt zu werden, sondern ein Cabrio fahren zu können, aber davon wollte sie nichts hören, in diesem Auto, hatte sie gesagt, sehe sie allenfalls wieeine Luxusprostituierte aus, aber wenn das seine Vorstellung von der idealen Beifahrerin wäre, dann sei er ja automäßig auf dem richtigen Weg, herzlichen Glückwunsch, es werde sich ganz bestimmt eine Praktikantin finden, die diese Rolle gern übernähme.
Er hatte Simone im Herbst 2001 kennengelernt. Sie waren, weil die Reiseangebote nach den Anschlägen günstig waren, nach New York geflogen und hatten in einem geisterhaft leeren Hotelturm an der achten Avenue gewohnt und in den Läden an der Lexington eingekauft und ihre Zeit im Indochine und in Milano’s Bar verbracht. Oben in den Hoteltürmen waren die Zimmer am billigsten. Nachts, wenn sie schon schlief, stand er am Fenster und schaute über die Backsteinhäuser, die weit unter ihm in einem gelblichen, feuchten Nebel lagen, er hörte ferne Sirenen und war, soweit er sich erinnert, glücklich damals.
Seit sie ein gemeinsames Kind hatten, verreisten sie nicht mehr oft, nur einmal, kurz nachdem er den Mercedes gekauft hatte, waren sie an die Ostsee gefahren. Sie hatten Mina und Karl bei ihrer Mutter gelassen; sie trugen ihre alten Sonnenbrillen und sahen, wie er fand, phantastisch aus; es fühlte sich an, sagt er später, als wären sie auf der Flucht in ihre eigene Vergangenheit gewesen. Die Sonne brach durch die Kiefern, und seine euphorische Stimmung hielt so lange an, bis Simones Mobiltelefon den Eingang einer Nachricht vermeldete. Sie tippte eine SMS. Dann brüllte sie in den Fahrtwind hinein:
»Anke hat sich von ihrem Freund getrennt.«
»Aha«, sagte er.
Er mochte Anke nicht besonders. Sie war eine alte Freundin von Simone, die bei Karstadt in der Verwaltung arbeitete, Politiker als »die da oben« bezeichnete und ihre Sommerurlaube bei ihren Eltern in einem enträderten Campinganhänger an der Nordsee verbrachte. Sie hatten sie ein paarmal getroffen, und bei gemeinsamen Fernsehabenden zeichnete sie sich durch erstaunliche Fressanfälle aus; zwei Tafeln Milka vertilgte sie in einer Viertelstunde, wonach sie mit einem bedauernden Klagelaut in die Sofakissen sackte und matt, in einerjammernden Tonlage, »o nein, jetzt platze ich gleich« rief. Obwohl
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