Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
staubiges Chaos aus Brettern, Tapeten und Farbeimern, zwischen denen zwielichtige Figuren an schiefen Trockenbauwänden herumspachtelten. Vesuvio war kein besonders origineller Name, aber »Ischia«, »Fontana di Trevi«, »Napoli« und »Amalfi« waren schon vergeben, genauso »Positano«, außerdem hieß der Hase seiner Tochter so; und »Ristorante Vesuvio« klang bedeutend würdevoller als »Ristorante Buon Giorno« oder »Ristorante Ciao«. Comeneno hatte überlegt, ob es einen einzigen Italiener gab, der in ein deutsches Restaurant mit dem Namen »Hallo« oder »Deutsche Küche – Guten Tag« gehenwürde, dann aber festgestellt, dass es so gut wie gar keine Italiener gab, die in deutsche Restaurants gingen, weil es in Italien keine ernstzunehmenden deutschen Restaurants gab und auch nie gegeben hatte, von einer Künstlerkneipe auf Capri mit dem sinnlosen Namen »Kater Hiddigeigei« einmal abgesehen, die 1929 dichtmachen musste.
Die Bauarbeiter machten ihn wahnsinnig. Sie kamen jeden Morgen aus einem Vorort angereist, parkten ihren Ford Transit vor dem Lokal und öffneten die Heckklappe. Dann geschah sehr lange gar nichts. Die Bauarbeiter rauchten ein paar Zigaretten, blätterten in der Abendzeitung , schraubten Thermoskannen auf und zu, drehten am Suchlauf eines verkleckerten Kofferradios und blinzelten ins grelle Tageslicht, das auf die zu renovierende Fassade des Lokals fiel. Auf ein lautloses Zeichen hin schlurften sie dann um den Wagen herum, sammelten Eimer und Kellen zusammen, verteilten sich auf dem Gerüst und im Inneren des Lokals und schrien wirre und sinnlose Fragen und Befehle in den Tag hinein – wo der Pinsel sei, die Fuge müsse neu gemacht werden, es tropfe, Achtung, so hält das nie, du bist ja bescheuert, wer hat das hier geputzt …
Wochenlang hatten die Männer Stuck und Plastikefeu, Bruchsteinplatten und pompeijanische Vasen durch die Baustelle des Vesuvio geschleppt. Jemand hatte ein korinthisches Kapitell auf einer in pompeijanischem Rot gestrichenen Säule befestigt. An der Stirnseite des Restaurants arbeitete ein bayerischer Kulissenmaler daran, ein großes Panoramabild zu vollenden. Er hatte in der Mitte des Raumes einen Diaprojektor aufgestellt, der das Bild der Bucht von Neapel auf die Wand warf, dann hatte er die Konturen der Berge mit einem Bleistift auf die Mauer übertragen, den Projektor abgeschaltet und die Bleistiftlinien mit sommerlichen Farben ausgemalt. Das etwa sechs Meter breite Gemälde zeigte die Bucht von Neapel und, majestätisch in den Mittelpunkt gerückt, einen großen Berg, auf dem ein Tempel stand.
»Was ist das da?«, fragte Comeneno und zeigte auf den weißen Tempel.
»Neapel«, brummte der Maler störrisch.
»Waren Sie schon mal in Neapel?«
»Hm?«
»Dieser Tempel dort. Den gibt es in Neapel nicht. Was Sie gemalt haben, sieht aus wie die Akropolis. Das geht nicht. Wir machen hier ein italienisches Restaurant, die Leute kommen durcheinander, wenn sie Pizza essen und dabei auf die Akropolis schauen.«
Der Maler murmelte etwas unverständlich Bayerisches in seinen gewaltigen Bart. Er hatte sich mit dem antiken Tempel eine kleine künstlerische Freiheit erlaubt. Dem stumpfen und nichtssagenden Berg auf dem Neapel-Dia hatte genau so ein Tempel als Krönung gefehlt, und er hatte sich besondere Mühe mit dem kleinen weißen Ding gegeben. Comeneno erklärte gereizt, dass der Berg, auf den er seinen zweifellos sehr schönen Tempel gemalt habe, in Wirklichkeit leider kein Berg nach bayerischem Muster sei, auf dessen Spitze man nach Belieben etwas draufstellen könne, sondern ein Vulkan, der Vesuv nämlich, nach dem das Restaurant ja benannt sei, und der habe, nach Art der Vulkane, oben ein Loch, aus dem manchmal Rauch oder Lava, jedoch nie, niemals ein griechischer Tempel aufsteige.
Der Kulissenmaler machte einen letzten Versuch, seine Erfindung gegen die überwältigende Logik von Geologie, Geografie und Geschichte zu verteidigen, und führte ins Feld, dass etwa in grauer Vorzeit, ehe der Vesuv erstmals ausgebrochen sei, dort oben vielleicht doch ein griechischer …
»Die Italiener wären froh, wenn sie so einen Tempel hätten«, fiel ihm an dieser Stelle ein offenbar griechischer Bauarbeiter ins Wort, der dem Gespräch auf seiner Leiter zugehört hatte und die Chance gekommen sah, die Ehre seines Landes gegen eine imperialistische römische Haltung zu verteidigen, die schon seinen Vorfahren schwer zugesetzt hatte und auf Umwegen daran schuld war, dass
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