Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
deutschen Gäste mochten auch verbrannte Pizza. Sie riefen: »Italienisch kross, wunderbar, danke!« Die deutschen Touristen waren großartig, und Comeneno konnte sich nichts Besseres vorstellen, als nach seiner Schulzeit auf einem schweizer Internat (der Vater, ein angesehener neapolitanischer Obst- und Gemüsehändler, wollte ihn zu einem international erfolgreichen Gemüsemagnaten machen) nach München zu gehen.
Comeneno hatte ein Gefühl für das, was die Deutschen mochten. Schon als Obsthändler, wenn er frühmorgens an seinem Stand in den Großmarkthallen an der Thalkirchner Straße saß, registrierte er genau, was gekauft wurde; er machte italienischen Blumenkohl zu einem Verkaufsschlager, stand früher als alle anderen auf und nahm Tonnenladungen apulischer Frühkartoffeln entgegen, er war der Gigant der Gemüsewaggons. Er lernte mehrere Verkäuferinnen und Großhändlerstöchter kennen, deren derbe bayerische Art ihn verschreckte, und war heilfroh, in den Markthallen von Neapel ein Mädchen zu treffen, das weniger teutonisch wirkte. Er liebte seine Frau; er behandelte sie wie eine tropische Pflanze, die man in einer zu kalten Gegend der Welt angesiedelt hat, und lief ständig mit Decken und Hausschuhen hinter ihr her, von der Küche ins Wohnzimmer, ins Kinderzimmer, zurück in die Küche, als fürchtete er, sie könne in der kalten deutschen Luft eingehen.
Es gab zwar schon einige italienische Restaurants in der Stadt – darunter eine Osteria, die sich als Lieblingsrestaurant von Adolf Hitler einen schlechten Namen gemacht hatte und insgesamt eher unitalienisch aussah –, aber das, was er in seinem Lokal veranstaltete, hatte man in München noch nicht gesehen.
Das Angebot der bisherigen italienischen Restaurants beschränkte sich hauptsächlich auf Pizza, Lasagne, Spaghetti carbonara und bolognese. Comeneno begann, den deutschen Geschmackssinn herauszufordern. Auf seiner Pizzakarte standen halluzinatorische dreiunddreißig Sorten – darunter eine Lachs-Kaviar-Pizza und eine Pizza Cozze, die er schnell in Pizza Frutti di Mare umbenannte. Die Geschäfte liefen so gut, dass er schon nach zwei Jahren ein zweites und 1979 ein drittes Restaurant eröffnete. Sogar Luciano Pavarotti kam mit Freunden, die die gesamten Vorräte des Restaurants an einem Abend vertilgten; Pavarotti selbst aß, aus Gewichtsgründen, allerdings nur gedünsteten Fisch.
In seinen Restaurants versammelte sich ein wohlhabendes Publikum – Rechtsanwälte, Waschstraßenbesitzer, Baufirmeninhaber und Philosophiedozenten, die Italien liebten und sich gerne in einem fehlerhaften, aber umso leidenschaftlicheren Italienisch mit den Kellnern unterhielten. Dieses Publikum wollte gastronomisch unterhalten werden, deswegen führte Comeneno Farfalle ein und Fenchel und verwirrte deutsche Geschmacksnerven mit überbackener Aubergine und Sambucca. Die Gäste betraten das Restaurant mit abenteuerlustigen Blicken und lasen die Karte, als sei sie der Vorbote einer unbekannten Welt.
Es gab allerdings auch Fehlschläge. Ein Stammgast übergab sich nach dem Versuch, echten Büffelmozzarella zu essen; der säuerliche Geschmack löste auf deutschen Zungen den gleichen Alarm aus wie sauer gewordene Milch; so wie der erste Wein, die erste Zigarette und der erste Roquefort völlig ungenießbar erscheinen, war die deutsche Reaktion auf echten Mozzarella verheerend. Erst der milde Kuhmilch-mozzarella schaffte es Mitte der achtziger Jahre, zusammen mit aufgeschnittenen Tomaten, zum kulinarischen Ausdruck italienischerLebensart zu avancieren. Trotzdem war die Zeit gut für italienische Lokale. Die bisher vorherrschende französische Kultur wich der italienischen: Der französische Café Noir, der mit einer filterlosen Gitanes bewältigt werden musste, überlebte nur noch in einer Schrumpfform, dem Espresso, und wurde statt mit Zigaretten mit einem Amarettino serviert, der noch tagelang zwischen den Zähnen klebte. Das deutsche Lebensgefühl wurde mit einer Gewalt italianisiert, von der es sich nicht mehr erholen sollte.
Manchmal stand Comeneno hinter dem Tresen und beobachtete seine Stammgäste; er stellte fest, dass die Leute irgendwann ihren Lieblingsspeisen zu ähneln begannen – der Mann, der ganze Körbe voll Weißbrot aufaß, das er in Olivenöl tunkte, sah selbst wie ein öliges Weißbrot aus, die Frau, die immer Papardelle in Schinkensahnesoße bestellte, hatte selbst etwas Nudelförmiges und Sahniges, auf zwei andere schienen die Eigenschaften
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