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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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daran gab es keinen Zweifel –, strahlte ihm nicht nur ein Lächeln entgegen, sondern ein Landhaus mit frisch gestrichenen weißen Bretterzäunen und Hunden und Pferden und frisch gebackenem Apfelkuchen mit Schlagsahne im Halbschatten weißblühender Kirschbäume.
    Hennings Mutter setzte sich in einen der seidenbespannten Lehnstühle und nickte Bianca zu.
    »Es ist wunderbar, dass sich junge Menschen aus Ost und West so einfach zum Kaffeetrinken treffen können«, sagte sie zur Eröffnung des Gesprächs und putzte gerührt ihre Brille. Gleich nach der Maueröffnung war sie mit John nach Berlin gefahren und hatte mit einerkleinen Spitzhacke ein etwa faustgroßes, rosa besprühtes Betonstück aus der Mauer vor dem Brandenburger Tor herausgeschlagen, das jetzt neben einigen roséfarbenen Muscheln aus der Karibik auf dem Kaminsims lag. Ihr war mulmig dabei gewesen, weil sie wusste, dass die Mauer jemandem gehörte, aber es hatte sie erregt, das Eigentum eines untergehenden, mitnichten aber toten Systems zu zerstören; es kam ihr vor, als hätte sie in einer waghalsigen und nicht ungefährlichen Aktion Gefangene befreit, und sie fand, dass die junge blonde Frau es auch ihrem Einsatz zu verdanken hatte, dass sie jetzt hier saß und mit ihrem Sohn Kaffee trinken konnte.
    Heidemarie Berkenkamp setzte die Brille wieder auf und sagte mit einem verschwörerischen Blick zu Bianca: »Ich war ja auch ein Mauerspecht.«
    Bianca schaute irritiert und fragte: »Was waren Sie?«
    »Ein Mauerspecht«, wiederholte Heidemarie Berkenkamp und kicherte. Dann zeigte sie auf das Betonstück auf dem Kaminsims und zuckte kurz mit den Schultern, als habe sie einen Streich begangen.
    »Nehmen Sie ruhig noch einen Kaffee«, sagte John Berkenkamp, den Bianca auf eine seltsame Art und Weise an ein Mädchen erinnerte, das er 1961 im Kontor der Reederei in der Mattentwiete kennengelernt hatte.
    »Sehr gern, der Kaffee schmeckt toll«, sagte Bianca höflich.
    »Wir sitzen hier in Hamburg ja sozusagen an der Quelle«, erklärte Berkenkamp, der nicht mitbekommen hatte, dass seine Schwiegermutter diese Wendung schon drei- oder viermal angebracht hatte, und legte die Stirn in Falten.
    »Kaffee war auch schwierig zu bekommen, oder?«, fragte Heidemarie Berkenkamp mit einer Stimme, die sie sich für Gespräche mit Armen und Bedürftigen zugelegt hatte. Das letzte Mal hatte John Berkenkamp sie mit dieser Stimme reden hören, als sie eine Wahlkampfveranstaltung für den Bürgermeisterkandidaten der CDU, Walther Leisler Kiep, besucht hatten, die vor einem Jugendheim stattfand.
    »Na, es gab schon welchen«, antwortete Bianca. »Aber der hier ist natürlich ganz was Feines.«
    »Wir haben jedenfalls dreißig Jahre lang welchen rübergeschickt. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen einmal die Kaffeespeicher in der Speicherstadt. Da duftet es ganz herrlich. Aber nun lass ich euch alleine«, sagte Berkenkamp, nickte gütig und wuchtete sich aus seinem britischen Clubsessel hoch.
     
    Der Tag, an dem Bianca zum ersten Mal das Berkenkamp’sche Anwesen betrat – der Tag, an dem in der Ostberliner Normannenstraße zweitausend Demonstranten die Zentrale der Stasi stürmten, um die »Aktion Reißwolf« zu stoppen –, war gleichzeitig der Tag des größten Zwischenfalls bei der deutsch-deutschen Familienannäherung in der Villa Berkenkamp. Der angeheiratete Pseudo-Onkel Wolfgang und der Großvater hatten zunächst friedlich in einer Ecke gesessen und sich unterhalten. Wolfgang erzählte vom Mauerbau, der Großvater erzählte vom Zweiten Weltkrieg und den harten Zeiten danach, bis der Pseudo-Onkel sagte, da seien sie nun mal selbst dran schuld gewesen, woraufhin der Großvater sagte, an seinem Mauerelend sei der Pseudo-Onkel ebenfalls selbst schuld gewesen, er hätte ja auch gehen können, worauf der Pseudo-Onkel erwiderte, er, der Großvater, sei ja nur gegangen, weil er so richtig Kohle machen wollte, woraufhin der Großvater sehr laut in den Raum hineinbrüllte, er, der Pseudo-Onkel, könne ja wieder in die Zone fahren und seine stalinistischen Pappmascheebrötchen essen und seine stinkenden Plastikautos fahren, statt ihm hier zwei Tage lang seinen guten Sancerre wegzusaufen, den seine gleichgeschalteten Geschmacksnerven ohnehin nicht vom Motoröl seines Ladas unterscheiden könnten, und seine blasse Nachkommenschaft könne er auch gleich einpacken.
     
    Der Dackel, der, auch wenn er gerne welchen machte, keinen Lärm vertrug, winselte und bellte hilflos die chinesische

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