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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Individuen
mit den passenden Pässen. Einmal fiel meiner Mutter eine Gruppe arabisch
aussehender Männer auf. Sie marschierten die Nationalstraße lang, sahen nicht
nach links oder rechts und wirkten für Touristen ungewöhnlich zielstrebig.
Meine Mutter überkam das Gefühl, diese Männer hätten ein ganz bestimmtes Ziel
vor Augen - das stadtbekannte, kurz vor dem Jungmann-Platz liegende
Waffengeschäft. Sie betrat das Geschäft kurz nach dem Fünferkommando.-We would
like to buy some pistols. The 75's are the best,
with a 15 shot magazine.
    - Nine millimeter - Luger.
No problem.
    - But not those heavy Makarows!
    - We don't sell Russian Makarows.
    - How many, how many can you give us?
    - Five.
    - Five for each of us?!
    - Yes, sure. We have enough in stock.
    - Twenty five 75's, please, sagte
der Anführer.
    Die Männer
legten ihre Pässe hin, bekamen fünfundzwanzig Pistolen, bezahlten bar und
gingen. Ihr Kampf mußte nach dem Sechs-Tage-Krieg weitergehen. Bei uns begann
gerade der politische Vorfrühling, und weil die staatliche Zensurbehörde immer
zahnloser wurde, konnte meine Mutter ihren Artikel über den legal-lockeren
Waffenhandel an der Theke auch veröffentlichen. Der kurze Text hieß »5 x 5
Geschenke für Nahost«. Irgendwann kam der Frühling richtig in Gang, die
Zensurbehörde löste sich - noch vor der offiziellen Abschaffung der Zensur -
auf eigenen Wunsch auf, und die Dinge bewegten sich auf den damals noch absolut
unvorstellbaren Einmarsch zu.
    Meine
Mutter war in der Auslandsabteilung ihrer Zeitschrift eher für kürzere Artikel
zuständig, schrieb in den sechziger Jahren aber immer wieder auch ausführliche,
gründlich recherchierte Reportagen - auch aus dem kapitalistischen Ausland.
Selbstverständlich mußten diese Reportagen etwas Fortschrittliches oder
Fortschrittkonformes zum Thema haben. So berichtete meine Mutter über junge
Kommunisten in England und ihren leicht schwächelnden Stern (»Morning Star«),
schrieb über die israelischen Kibbuzim, über die Berliner Mauer und ähnliches.
Sie beschäftigte sich aber auch mit der Problematik der Todesstrafe, mit der
Suche nach der Identität von Traven oder dem letzten Stand der
Shakespeare-Forschung. Beim Schreiben derArtikel - ihre Angst vor dem Urteil
ihrer Kollegen war riesig - quälte sie sich dann manchmal wochenlang.
    Mein Vater
schrieb nicht, er versuchte mir anders zu imponieren. Und weil ihn in der Welt
eher grob-männliche Angelegenheiten interessierten, konnte er gelegentlich
sogar auf realistische Schilderungen von Grausamkeiten zurückgreifen. Er
schilderte mir mit Vergnügen, wie die chinesischen Frontkämpfer beim Kampf um
Korea in solchen Massen starben, daß die nachrückenden Soldaten regelrecht über
Leichenberge ihrer Kameraden, also die vor ihnen dezimierten Angriffswellen
steigen mußten. Oder er spielte mir vor, wie sich die Vietnamesen in ihren
unterirdischen Labyrinthen aufgeopfert hatten. Als die Franzosen mit langen
spitzen Stahlruten nach den geheimen Gängen suchten, hielten die Vietnamesen
ihre Rücken bereit, boten also ihre Oberkörper den stechenden Soldaten gezielt
an und ersetzten so die fehlende Erdmasse. Sie ließen sich unter Umständen
töten, nur um den in Reihen systematisch vorgehenden Franzosen die Lage ihrer
Hohlräume nicht preiszugeben. Mein Vater hätte mich sicher gern zu einem - den
Vietnamesen ebenbürtigen - Kämpfer und Helden erzogen.
    Ich ließ
meinen Vater seine Geschichten absondern, nickte brav, und wenn das Mittagessen
nahte, ging ich mit einer beigefarbenen Plastikkanne in die nächste Kneipe
frischgezapftes Bier holen. Draußen verbrachte ich dann soviel Zeit wie nur
möglich, zurück ging ich etwas schneller. Ob mein Vater persönlich gegen die
französische Kolonialmacht unter dem weichen tropischen Boden mitgekämpft
hatte, blieb zum Glück für immer sein Geheimnis. Wenn ich mich in seinem
Beisein manchmal etwas freier gefühlt und meine Vorsicht vergessen hatte,
beging ich regelmäßig dumme Fehler. Am gefährlichsten wurde es für mich, wenn
ich beim Erzählen versuchte zu scherzen.
    Prompt
konterte mein Vater mit einem frischen Prachtscherz, der gezielt meinen eigenen
ironisch aufgriff und gnadenlos herabsetzte. Niemand beherrschte solche Manöver
besser als er - jedenfalls niemand aus meiner Umgebung. Mein Vater führte mir
in solchen Momenten vor, wie naiv und eingeschränkt ich war - und genoß
triumphierend meine Gesichtsrötung. Und weil er mich dabei ausdauernd
anglotzte,

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