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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Orientierungsschwäche
hatte, mußte man sie manchmal suchen gehen.
    Eine
ähnlich selbstverständliche und angenehm asexuelle Atmosphäre wie an dem
Ostsee-Strand erlebte ich später noch einmal, als ich beruflich mit einer
Ballettruppe zu tun hatte und mit den Tänzern und TÄNZERINNEN auf Tourwar. Beim
Umziehen vor den Auftritten schnippelten die Frauen seelenruhig an ihren
Schamhaaren herum, grätschten dabei ihre Beinchen - und kümmerten sich
überhaupt nicht darum, ob ihnen jemand ins Guckloch sah. Man sah auch nicht
hin, ich bald auch nicht mehr. Wir waren alle Profis und betrachteten unsere
Körper nüchtern als Arbeitsgeräte. Auch in die Duschen gingen wir gemeinsam und
redeten dabei nicht anders als beim gemeinsamen Frühstück.
    Kleine
Stücke nackter Haut zu sehen ist im Grunde aufregend genug. Zum Nachdenken über
das Eigentliche reicht es vollkommen, und wenn es um die Geheimnisse der hier
behandelten Anziehungskräfte des weiblichen Körpers geht, ist es sowieso egal,
an welchem Punkt man dabei ansetzt. Ich habe meine - bitte nicht lachen - NEUE
BESCHEIDENHEIT relativ spät, erst inmitten des in unserem Land neuetablierten
Kapitalismus entwickelt, obwohl die mitgekommene Überflutung mit sexuellen
Reizen teilweise erschreckend war. Zum Glück erregt mich also wieder - fast wie
in alten Zeiten - schon der Anblick kleinster Ausschnitte warmer Frauenhaut.
Ein Stück Schulter, die Ansatzsteigung der Brüste, ein Streifen Haut unter
einer hochgerutschten Bluse, der Bauchnabel eines sich streckenden Oberkörpers
- solche Details bombardieren mich mit ausreichender Sprengkraft. Auf diesen
fruchtbaren kleinen Feldern ist schon alles Wichtige vorhanden, hier können die
Keime der Verschmelzung und Vermehrung eine ausreichende Menge Fadennetze
auswerfen und können von hier aus mit ihren Wurzeln - wenn gewünscht - weiter
in die Tiefe tauchen. Früher war für mich sogar ein heißer Blick auf der
Titelseite einer lächerlichen sozialistischen Zeitschrift aufregend genug
gewesen. Meine neue Bescheidenheit hat also eine lange Vorgeschichte.
    Bewegliche
oder unbewegliche Pornoerzeugnisse konnte ich mir in der damaligen Zeit nicht
besorgen; nachdem sie mit dem Kapitalismus angeschwemmt kamen, brauchte ichdie
traurigen, beweglichen oder unbeweglichen Bilder nicht mehr. Als ich einmal -
mitten in den neuen Zeiten - von weitem eine Serviererin sah, die im Vorgarten
eines Cafes in einem hautfarbenen Oberteil bediente, lief ich in ein Blumenbeet
hinein und verlor vor innerem Aufruhr beinah das Gleichgewicht. Ich war wie
unter Schock. Ich hatte im ersten Moment gedacht, diese selbstbewußte Frau wäre
oben vollkommen entblößt, liefe so in aller Öffentlichkeit. Und noch während
der Betäubung und beim Anblick der zertretenen Blumen wurde mir klar: Nur das
treibt mich an, nur diese Kraft bringt mich weiter, nichts anderes. An dem Tag
war ich - auch weil gerade subtropische Temperaturen herrschten - zu nichts
mehr zu gebrauchen.
    Da ich es
hasse, wenn man von Prosaschreibern mit bedeutungsbeladenen Träumen belästigt
wird, würde ich in diesem alles andere als kurzen Text niemals einen Traum
festhalten wollen, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Beschreibungen
sprachfreier Bilder finde ich sowieso dröge - nur um Olfaktorisches sich
bemühende Traktate sind noch peinlicher. Und Traumschilderungen sind einfach
das Allerschlimmste, weil sie dank der Wichtigkeit jedes noch so seltsamen
Details viel zu viel Erzählraum beanspruchen. Meine Träume sind in der Regel
sprachlos und duftlos. Am liebsten würde ich über bilderlose Düfte träumen und
gespannt abwarten, ob sie noch stärkere Schocks auslösen können als einen
anspringende Mosen in der Realität. Und schließlich würde ich alles für mich
behalten.
    Der
folgende Traum ist ein reiner Bildtraum: Ich betrete einen Raum, in dem meine
ältere Cousine mit Hilfe einiger Tanten und Großmütter uriniert. Sie kniet oder
sitzt seitlich - verkrampft und unbequem - auf ihrem Bett, neben ihr steht ein
Nachttopf. Das, woraus sie uriniert und was sie des Gewichts wegen mit beiden
Händen halten muß, ist ein riesengroßer, fetter und dunkelhäutiger trotzdem
allesandere als erigierter - Penis. Er ist groß wie eine mittelgroße Salami,
leicht gebogen wie eine Mettwurst, gefärbt wie erythrozytenreiche Blutwurst im
Echtdarm, prall wie Schinkenpolnische. Sagen wir etwa dreißig Zentimeter lang,
im Durchmesser an die sieben Zentimeter stark. An die Proportionen dieses
Organs

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