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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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geschlechtsgepeitschten
Verhaltensstandards dauernd vor Augen. Ich sah, was zwischen Männern und Frauen
im Prager Menschenzoo vor sich ging und offenbar auch nicht anders als auf
diese kanonisierte Art zu laufen hatte. Nämlich wie am Fließband und ohne
jegliche Skrupel. Ein Herr Professor, der bei uns im Haus wohnte, schleppte
dauernd schöne junge Studentinnen in seine Wohnung. Er war Junggeselle und
lebte mit seiner uralten tauben Mutter zusammen. Ich sah ihn oft mit seinen
reizenden Begleiterinnen im Treppenhaus, weil ich dort regelmäßig mit einem
Tennisball Fußball spielte. Ihm gefielen nur schöne Frauen, sagte er einmal
einem Freund meiner Mutter, der seinen vortrefflichen Geschmack gelobt hatte.
Auch die Bekannten meiner Mutter - allesamt verheiratete Männer - waren keine
korrektiv tauglichen Bespiele für mich. Einige von ihnen unterhielten feste
Beziehungen nicht nur zu ihren Zweitfrauen, sondernparallel auch noch zu ihren
wechselnden Drittfrauen. Als Thema waren Untreue, Doppeltreue oder Trippeltreue
bei uns immer präsent - und nie als etwas Außergewöhnliches oder Anstößiges
kommentiert worden.
    Bei meinen
Beobachtungen ignorierte ich keinesfalls Einzelgänger, die etwas anders
funktionierten als die Mehrheit. Auch wenn ich manches lange überhaupt nicht
nachfühlen konnte. Ein Bekannter meiner Mutter war beispielsweise entzückt von
dicken Frauenwaden, sprach von ihnen mit einer solchen Hingabe und Offenheit,
daß man ihm diese Vorliebe glauben mußte. Mir blieb seine Leidenschaft so lange
fremd, bis mir einmal auffiel, wie dieser Mensch plötzlich die Beine meiner
Mutter zu fixieren begann. Im Normalzustand waren ihm ihre Waden und Schenkel
sicher nicht dick genug, meine Mutter hatte ihre Beine aber gerade
übereinandergeschlagen - und ihre oben liegende Wade war dadurch breiter
geworden, beulte sich aus und wirkte ungewöhnlich voluminös. Der Mann war wie
gelähmt und zu einem vernünftigen Gespräch nicht mehr fähig. Er begann
stotternd von seinem großen Unglück aus alten Zeiten zu erzählen. Eine Jugendliebe
von ihm - die Frau mit den dicksten Waden, die er sich erträumen konnte - hatte
ihn von einem Tag auf den anderen verlassen und jemand anderen geheiratet. Und
dieser Rivale hatte diese Wadenbeste als sie ihm insgesamt zu dick wurde -
wiederum eines Tages verlassen. Selbstverständlich hatte der Schuft diese Frau
in ihrer ganzen Dickwadigkeit nie gewürdigt.
    Die ersten
Vorgespräche zum Thema »Die Frau und der Alltag« und »Das Mysterium des
Zusammenlebens« führte ich ausgerechnet mit ebendiesem wadenbesessenen
Sonderexemplar von Mann, der sich zu einem partiellen Misogyn entwickelt hatte
und in einer katastrophalen Ehe-Notgemeinschaft vegetierte. Auf meine freudig
erregten Fragen bekam ich deswegen entsprechend häßliche Antworten.- Es ist
furchtbar, tagtäglich die gleiche Frau ... Sie putzt sich ausgerechnet dann die
Zähne, wenn man ins Bad will. Überall liegt ihre Unterwäsche herum.
    - Aber
das, genau das ist doch das Schöne daran. Jeden Tag zu sehen, wie sich die
Frau, die EIGENE FRAU ihre Zähne neben einem putzt ... und die Unterwäsche
dauernd durch die Luft wirbeln läßt!
    - Nein!
Glaub mir, Georg, das alles geht einem nur noch auf den Geist. Wenn sie zum
Beispiel Schnupfen hat, bleibt im Waschbecken ihre angetrocknete Rotze dauernd
kleben und läßt sich ohne Berührung nicht wegspülen. Eklig ist das. Außerdem
immer wieder diese blutigen Binden! Und wie die im Mülleimer stinken - schon
nach kürzester Zeit! Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Am nächsten Tag
willst du einfach nur raus auf die Straße, und du bleibst dort, so lange du
laufen kannst.
    Als ich
bei einem Sport- und Turnfest in einem riesigen Prager Stadion Zehntausende
braungebrannte nackte Frauenbeine gesehen hatte, wurde mir das Problematische
meiner großflächig keimenden Sehnsüchte überdeutlich bewußt - trotz meines
zarten Alters. Die unübersehbare Menge an Frauen, die es auf der Welt gab - im
und außerhalb des Stadions -, war an sich schon ein Grund zum Verzweifeln.
Dieses Meer konnte ein Einzelwesen niemals mit Glück beschenken. Dabei war jede
dieser Frauen - jedenfalls nach den mir gerade präsentierten schlanken Beinen
zu urteilen - eine umwerfende Schönheit. Jede von ihnen hätte ein glückliches
Leben verdient, jede von ihnen versprach jedem einigermaßen seh-potenten Mann
Glück und Erfüllung. Auf der Zuschauertribüne saß ich neben meiner Mutter und
war lange sprachlos.

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