Faktor, Jan
ganze Divisionen von Ingenieuren und
Doktoren vollständig erhalten - nur ihre demographische Verteilung hatte sich
verschoben. Vielen Titelträgern begegnete man inFabriken, auf schäbigen
Garagenhöfen oder vor düsteren Großküchen mit Eßnäpfen auf den Knien. Und sie
streiften in der Regel ihre Scheu und Lässigkeit ab, achteten sogar konsequent
darauf, ordentlich tituliert zu werden. Man ließ sie dann eher in Ruhe. Ihre
Vorgesetzten verlangten von ihnen unter Umständen keine körperlich allzu
schweren Einsätze, ließen sie, wenn es der Parteisekretär nicht sah, ihre
Bücher lesen oder über ihren Manuskripten sitzen.
Der
Ingenieurwahn griff merkwürdigerweise also wieder um sich - wütete natürlich
auch verstärkt in den oberen Etagen der Gesellschaft. Die Positionen der
Verjagten hatten dort junge Nachwuchsingenieure besetzt. Sie kamen oft vom
Lande, stammten aus einfachen Verhältnissen.
-
Strawinsky? Kenne ich nicht - oder doch? Sicher ein sowjetischer Ökonom.
In einem
Forschungsinstitut saß sogar die ehemalige Putzfrau des Hauses im Chefsessel
einer Abteilung, nachdem sie im Crashdurchlauf ein Ingenieurstudium absolviert
hatte. Politisch war sie schon lange die institutsinterne Scharfmacherin Nummer
eins gewesen. Im Grunde machte das Land in den siebziger Jahren eine besondere
Variante geistiger Wiedergeburt durch. Niemand schämte sich mehr, ein Ingenieur
zu sein. Man schämte sich auch sonst recht wenig. Inzwischen trugen auch
studierte Spitzensportler diesen Titel gern öffentlich, sahen keinen Grund
dafür, ihn wegen seiner Irrelevanz bei Leibesübungen zu unterschlagen. Einer
unserer Tennisspieler der Weltklasse, der als ein solcher einmal sogar
Wimbledon gewann, war ein Diplomingenieur. Und man mußte sich im Radio - es war
im Jahre neunzehn-hundertdreiundsiebzig - solche Sätze anhören:
- Unser
Spitzensportler Ingenieur Kodes gewann das diesjährige Wimbledonturnier!
Ingenieur Kodes, Ingenieur Kodes, Ingenieur Kodes... ist tatsächlich der
diesjährige Wimbledonsieger! Damit avanciert er eindeutig zum wichtigsten
Sportler des Jahres.Der Kult des Ingenieur-Titels saß im Land unausrottbar
tief. Er kulminierte schon einmal in den sechziger Jahren - auf einem noch
absurderen, noch ingenieur-fremderen Terrain. Der Titelträger war Ing. Bobek.
Pavel Bobek war unter anderem Sänger der bedeutenden Band »Olympic«, er war
Rocker der ersten Generation, die für den gefährlich klingenden und von der
Obrigkeit kriminalisierten Rock 'n' Roll den Tarnnamen BIG BEAT erfunden hatte.
Ing. Bobek war der wichtigste Frontman unserer politisch und dann auch
musikalisch erwachten Republik, als Sänger war er erstklassig, sang mit einer
rauhen, stark gepreßten Stimme. Sein Aufstieg begann in einer Zeit, als diese
Musik der GROSSEN SCHLÄGE kulturpolitisch erst durchgesetzt werden mußte. Der
Rocker Ing. Bobek war dafür sicher der richtige Mann und spielte dank seines
Titels bei der Etablierung des Rock 'n' Roll in der Tschechoslowakei eine
bedeutende Rolle. Das Wort Bobek bedeutet im Tschechischen soviel wie Kötel.
Daß ich
nur noch ganz nach unten, zum Müll, zu den Müllmännern oder noch tiefer sinken
wollte, war vor diesem Hintergrund nur logisch. Wie unerträglich und lächerlich
das weitere Existieren inmitten der vielen Titelträger geworden war, wurde mir
einmal in der Straßenbahn vorgeführt. Zwei noch junge, erstaunlich
hellsichtige, außerdem noch ungewöhnlich unbeschwerte Witzbolde standen dort am
Fenster und beobachteten die Menschenmenge auf der Straße. Und kommentierten
das Tun und Lassen besonders auffälliger Individuen gnadenlos und titulierten
sie messerscharf und präzise. Im Blick hatten sie eine Straßenbahnhaltestelle,
dahinter eine Baustelle samt einiger Bauarbeiter und einer Baugrube. Die vom
übrigen Verkehr eingekeilte Straßenbahn stand die ganze Zeit still.
- Guck dir
mal diesen Doktor da an ... typisch, in jeder Hand eine Flasche Medizin.
Pilsner ist doch kein Bier, oder? Ist doch so. Der Mann ist ein richtiger
Kneipendoktor.- He? Der Ingenieur mit der Pappschachtel auf dem Rücken, was
schleppt er da, dieser Doppeldepp, ein richtiger Fachdoktor der Transportkunde
ist das. Wie kann man sich derart unwissenschaftlich anstellen! Eine
Körperhaltung wie aus dem orthopädischen Gruselkabinett. Und was hat er in der
Schachtel überhaupt drin? Ersatzbandscheiben für die ganze Familie vielleicht.
- Die
Ingenieure verkommen klamottenmäßig immer mehr, merkst du das? Kaufen
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