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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Materialien könnten wieder knapp werden und würden
eines Tages schwer aufzutreiben sein. Und was man einmal auf Lager hatte, würde
man später als Tauschobjekt für andere Mangelgüter verwenden können.
    Zum Wesen
der Mangelwirtschaft gehörte seit langem noch etwas ganz anderes: Viele
Betriebe produzierten massenhaft Güter, die niemand mehr wollte, jedenfalls so
massenhaft nicht gebrauchen konnte. Dabei kam es trotzdem nicht in Frage, aus
diesem Grund ganze Produktionsstrecken aufzugeben und die Arbeiter zu entlassen
- also produzierte man unverdrossen weiter und füllte mit den Überschüssen
irgendwelche Lagerhallen. Wegen der überall drückenden Überschüsse bekamen die
Betriebe irgendwann die Erlaubnis, die nicht absetzbaren Lagerhüter im Rundfunk
anzupreisen. Diese Idee war wirklich rettend. Und weil der tschechische Mensch
an sich schöpferisch ist, wurde diese Art Rette-sich-wer-kann-Werbung auf
weitere Gebiete ausgeweitet. So verwandelten sich diese speziellen
Werbeeinlagen, diese kurzen Entblößungen plötzlich zu einer Plattform für rege
Tauschgeschäfte ganz anderer Art und hatten etwas höchst Ordinär-Verräterisches
an sich. Mit der Zeit wirkten sie auf mich - auch dank der drum herum präsenten
Kulturlosigkeit - immer pornographischer. Jedermann durfte sich an seinem
heimischen Radio bald die absurdesten Trödelblödeleien und Offenbarungseide
anhören.
    »HALLO!
Betrieb XXX hat eine ältere, aber voll funktionsfähige EXZENTERREVOLVERPRESSE
RP-T 42 zu bieten und braucht dringend diverse Alu-Profile aller Arten und
Stärken - es können auch Reste sein. Bitte melden unter der Telefonnummer ...«
    Oder: »Wir
haben mehrere Kompressortypen für Kohlehydrierung im Einsatz - außerdem einige
ausrangierte; suchen Partner zwecks Austausch von Ersatzteilen.«
    Oder:
»Brauchen unbedingt 8-Loch-Flansche Norm-III 70/150mm für unsere Salzsäure-Fernleitung.
DRINGEND!! Die Leckgefahr ist akut!!!«
    Die ganze
Wirtschaft wurde zwar zentral gelenkt, was die überschüssigen
Betriebsgrundstücke betraf, hatten die Werksleitungen aber viel
unternehmerische Freiheit behalten. Bei der Aufrechterhaltung des allgemeinen
Notstandes war fast alles erlaubt. Und weil es so viel war, was unbedingt getan
werden mußte, blieb das, was nicht den Status einer Katastrophe besaß,
unerledigt. Gammeln und gammeln lassen schien am Ende die vernünftigste Devise
zu sein. Schon die Sicherung des jeweiligen nackten Produktionsablaufs
verlangte von allen Beteiligten oft das Äußerste an Kraft, überall bewegte man
sich an den Grenzen der Leistungsfähigkeit. Die Verantwortlichen waren oft
herzkrankoder aufgrund der Vernachlässigung ihrer Zähne
schmerztablettenabhängig. Zum Aufräumen oder Verschönern von Tausenden von
lästigen Ecken oder ganzer Areale hatte man absolut keine Zeit, keine
Manneskapazitäten mehr übrig. Jeder Leiter klagte Tag für Tag, ihm würden
»Leute fehlen«.
    Bei meinen
Wanderungen lernte ich, daß man auch vor jeder Art architektonischer
Vorzeigeobjekte Angst haben mußte. In ihnen offenbarte sich der noch nicht ganz
erstickte gesellschaftliche Ehrgeiz, gleichzeitig steckten dabei alle - der
Staat, seine Architekten und Baubetriebe - in unzähligen Hemmschuhen. Meine
Angst betraf nicht nur die mangelhafte Ausführungsqualität dieser Prachtbauten,
nicht nur die finale Doch-Häßlichkeit ihres Möchtegern-Modernismus. In der
Regel haperte es einfach schon grundsätzlich an ihrer Gesamtkonzeption.
Meistens handelte es sich um Einkaufs- und Dienstleistungszentren. Auf den
zweiten Blick entdeckte ich an den Gebäuden immer irgendwelche störenden - weil
funktionslosen - Elemente, irgendwelche mangelhaft-logischen Vorsprünge, kaum
frequentierte Aufgänge oder Ecken, die nur infolge machtvoller Schachzüge von
Parteisekretären dekoriert oder nach fiesen Interventionen der Geschäftsleitung
freudlos genutzt wurden. Manche Plattformen wurden vom Volk trotzdem dauerhaft
gemieden, weil sie nach jedem kleinen Regenfall unter Wasser standen - und auch
unter Wasser blieben. Überproportionale Galerien schrien vor Langeweile, weil
die Menschen einen viel günstigeren Zugang ins Gebäudeinnere gefunden hatten.
Und wenn diese Abkürzung durch eine Textilabteilung führte, wurden dabei eben
einige Kleiderständer umgerannt. In manchen viel zu engen Eingängen bedrängten
sich die Menschen gegenseitig mit ihren Einkaufstaschen, kamen sich dort
sozialistisch näher. Der besorgungsorientierte Drang der

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