Faktor, Jan
änderte meine Situation
grundsätzlich. Ich fühlte mich in den Bergen auf einen Schlag unvergleichlich
besser. Auf der Schutzhütte meines Notizbuchretters nahm man mich zwar nicht
gleich auf, ich durfte mir zwischenzeitlich aber einen anderen Traum erfüllen.
Ich wurde endlich zu einem FAST-MÜLLMANN; mein Arbeitgeber war ein relativ
harmloser Gartenbaubetrieb. Wir pflegten Parks, Wege, Straßen und Plätze, wir
leerten aber regelmäßig auch Abfallkörbe und mußten manchmal auch
fallengelassenen Dreck einsammeln gehen. Meine Mitarbeiter waren wilde, zum
Glück aber abstinente Roma und zahme, dafür stark verwahrloste Alkoholiker. Ich
befand mich tatsächlich ziemlich weit unten. Am Tag der turnusmäßigen Leerung der
Abfallkörbe war die Stimmung unserer Truppe etwas verdüstert.
Niemand
machte diese stinkende Arbeit gern, niemand bückte sich mit Begeisterung dem
Dreck entgegen, den die Idioten von Touristen neben die überfüllten Abfallkörbe
geworfen hatten. Wir fuhren los, waren grimmig, arbeiteten möglichst schnell
und waren - wenn es sein mußte und wir aufgehalten oder gestört wurden - auch
etwas unhöflich. An die unverfälschte Wut unserer Großstadtkollegen aus Prag
kamen wir aber nie heran. Darüber hinaus fehlten uns die rollbaren Mülltonnen.
In der
Freizeit ging ich konsequent klettern oder machte lange Blitztouren über alle
erreichbaren Pässe. Ich mußtetrainieren und überholte die lahmen Touristen mit
einem Tempo, von dem sie nur träumen konnten. Vor der Arbeit als Lastträger
hatte mich eines Tages ein älterer Bekannter aus Prag, als wir uns bei einer
Tour zufällig trafen, allerdings nachdrücklich gewarnt.
- Das
stehst du niemals durch, Georg. Man trägt sechzig, siebzig Kilo auf den
Schultern. Was das nur für den Rücken bedeutet, kannst du dir vielleicht
vorstellen. Und die Strecken bis zu den Hütten sind furchtbar lang - an die
sieben Kilometer. Bei einem Höhenunterschied von achthundert Metern.
- Ich
freue mich drauf.
- Nein,
nein, Georg, hör zu. Du gehst dabei wirklich ein. Ich habe es vor Jahren mal
versucht, und da bin ich noch dauernd klettern gegangen. Ich habe einen der
Träger gebeten, mich sein Gestell abwechselnd tragen zu lassen, lauter Kisten
mit Konserven.
- Hab ich
auch schon probiert, ich kenne dort jemanden. Es ging.
- Glaub
ich nicht! Nach dreißig Metern wünscht sich ein Normalsterblicher bei jedem
einzelnen Schritt nur, daß er nicht umfällt. Daß man in dieser Verfassung noch
die Moränen überwinden könnte, ist längst reine Illusion. Falls man es bis zu den
steilen Hängen aber doch geschafft hat, steht man irgendwann vor einer Stufe
von zwanzig Zentimetern und weiß, daß man nicht in der Lage sein wird, sich mit
einem einzigen Bein hochzustemmen. Weder mit dem linken noch mit dem rechten.
Und du bist so dünn! Wieviel wiegst du, Georg?
- Sechzig
Kilo.
- Man hat
sich noch einmal auf dem Rücken, vergiß das nicht. Wenn man gut sein will, und
das wollen dann sowieso alle, trägt man sogar noch mehr. Der Aufstieg dauert
drei, vier Stunden, es sind Tausende von Schritten, Tausende von Stufen! Stell
dir vor, du müßtest - deine Körpermasse mitgerechnet - hundertdreißig Kilo nach
oben bringen. Man betet vor jeder Stufe, bis zum nächsten Halt bei Bewußtsein
zu bleiben - und zwischendurch kann man die Kraxe gar nicht absetzen, stolpern
darf man sowieso nie.
- Das weiß
ich doch alles. Man muß das Gewicht einfach gut verteilen. Die schweren Dinge
müssen oben sein, möglichst oberhalb der Schultern. Und Pausen kann man nur auf
den größeren flachen Steinen einlegen, klar.
- Kluges
Köpfchen. Oft ist man im Tal wirklich ganz allein, man sitzt auf seinem Stein
und ist mit den Gurten an die Kraxe wie festgekettet. Und dann? So naiv darfst
du doch nicht rangehen. Ich war damals nach einem halben Kilometer vollkommen
erledigt.
Die Natur
um mich herum war von der Politik unbelastet und von der Rücksichtslosigkeit
der volkseigenen Industrie noch nicht gezeichnet. Kaputtgefahrene Prager Fersen
und geplättete Zehen, tote Tauben auf dem Altstädter Ring oder Behinderte auf
Kollisionskurs gingen mich nichts mehr an. Mitten in dieser Natur zu sein tat
mir so gut, daß ich mir sicher war, als Lastenträger nicht zu versagen. Ob mein
Kreislauf leistungsfähig genug war und meine Muskeln auf Dauer wirklich
durchhalten würden, wußte ich nicht, mental war ich aber in Höchstform. Ich
wollte auf keinen Fall unten im Tal bleiben - zwischen den fetten
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