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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Urlaubern und
faulen Kurgästen. Auch das Interhotel »GRAND« lockte mich nicht mehr, ich
kannte es jetzt als ein unerschrockener Entsorger einiger Abfallkörbe vor
seiner Straßenfront. Ich wollte unbedingt oben in einer Hütte aus Felssteinen
leben, oberhalb der alltäglichen Eile, oberhalb aller Dächer, aller Kurparks
und ihres Mülls.
    Wie es
ist, früh mitten in einer stillen Landschaft zu erwachen, wußte ich unter
anderem dank Dana. Eine starke Beziehung zur Natur hatten auch ihre Freunde,
die ab und zu bei ihr auftauchten. Darunter war ein bekannter Fotograf. Er kam
immer wieder mal, um einsame, das heißt einzeln stehende Bäume in der Umgebung
zu fotografieren. Er hatte seit mehreren Jahren bestimmte Bilder im Kopf und
vergaß sie nicht. Die Fotos, die er bereits gemacht hatte, waren ihm meistens
nicht gut genug, und oft fand er seine Lieblingsbäume wiederholt nicht im
richtigen Moment vor. In der Regel lag es am Licht oder an der Luftfeuchtigkeit
oder an mehreren Faktoren gleichzeitig. Er kam außerdem aus einem ganz anderen
Grund - Dana wusch ihm bei dieser Gelegenheit seine angesammelte Unterwäsche.
Wie es zu diesem Brauch gekommen war, fragte ich lieber nicht.
    Für das
Gelingen der Baumaufnahmen war - von den Licht- und Feuchtigkeitsverhältnissen
abgesehen - noch etwas anderes entscheidend: wieviel Kontrast der aktuell
vorhandene Hintergrund gerade bot. Der Mann wartete schon mehrere Jahre darauf,
daß auf einem bestimmten Feld wieder Gerste gesät werden würde. Im klaren
schrägen Abendlicht schillern und leuchten die langen Gerstengrannen
ungewöhnlich hell und bestrahlen die Blätter der umstehenden Bäume von unten.
Nichts, was dort sonst wuchs, war ihm als Unter- und Hintergrund gut genug. Von
allen Bäumen liebte er besonders die Eichen. Die mußte er sowieso im Frühjahr
in dem Moment erwischen, wenn sie noch wenig Chlorophyll in den Blättern
hatten. Da sie etwas später schlüpfen als der Rest der Landschaft, setze sich
ihr Babygrün von der Umgebung besonders gut ab.
    -
Eichenblätter sehen anfangs bräunlich aus - aber nur kurz. Achte mal drauf,
Georg.
    Wenn
dieser Mensch bei Dana auftauchte, die Luft aber feucht und das Licht deswegen
zu diffus war, schlug sie ihm vor, bald wiederzukommen - und nächstes Jahr
sowieso.
    - Mehr als
zehn Unterhosen hast du doch nicht. Und drecksteif solltest du hier besser
nicht ankommen.
    Für eine
bestimmte Baumgruppe brauchte der Mann als Hintergrund ein blühendes Rapsfeld.
Raps hatte es dortschon einmal gegeben, und er wollte die damalige Serie gern
wiederholen. Bis auf diesem Feld wieder Raps gesät wurde, dauerte es, wie ich
später erfuhr, sechs oder sieben Jahre. Aber auch das Warten auf ein einziges
Bild konnte eine Ewigkeit dauern. Oft saß er an einer Stelle lange Stunden -
oder er ging zwischendurch spazieren und kam erst nach Stunden wieder zurück.
Und wenn er sah, daß die Sonne noch nicht weit genug war, um längere Schatten
zu werfen und schärfere Konturen in die Baumkronen zu zeichnen, wartete er
weiter.
    Wahrscheinlich
bastelte sich dieser Mensch besonders während dieser Wartestunden eine eigene
Erklärung dafür, warum die Menschen menschleere Naturbilder so lieben und es
bevorzugen, in der Natur womöglich allein zu sein. Die Liebe zur Natur hinge
seiner Meinung nach mit dem - nebenbei sozialismusfremden - Besitzdenken
zusammen. In einer verlassenen Landschaft müsse man sich die Natur nicht mit
anderen teilen, meinte er. Man hätte die Illusion, diesen Teil der Erde
ausschließlich für sich zu haben, nur für sich allein.
    In meinen
Bergen war ich inzwischen wirklich oft allein, die Sommersaison war noch nicht
angebrochen. Ich probierte manchmal verbotene und nicht ausgeschilderte
Strecken aus, kämpfte mich durch die Steinwildnis, betrat Nebentäler über
vereiste schmale Hangrinnen und traf lange Stunden keinen einzigen Menschen.
Sporadisch schrieb ich an Dana kurze Briefe, verriet ihr unter anderem, daß ich
einige Wochen in Prag gewesen war, und bat sie, es für sich zu behalten.
Nebenbei konnte ich es nicht lassen, sie zu fragen, was sie gerade anhatte und
was für Wäsche sie daruntertrug. Aber eigentlich war ich neugierig darauf, wie
es ihren Kubricks ging. Vor allem, wie es dem Kubrick Nummer drei ging und der
Nummer vier und fünf. An der Entstehung dieser drei hatte ich mitgewirkt.Die
KUBRICKS waren Danas puristische Grasquader-Skulpturen, die sie direkt in der
Landschaft baute, um sie dort auch stehenzulassen. Sie

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